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Coronakrise verschärft soziale Ungleichheit Böckler Impuls

Gesellschaft: Coronakrise verschärft soziale Ungleichheit

Ausgabe 12/2020

Über ein Viertel der Erwerbstätigen hat in der Krise bereits Einkommen verloren, die soziale Ungleichheit nimmt zu. Tarifbeschäftigte sind besser geschützt.

Die Coronakrise verschärft bestehende soziale Ungleichheiten. Erwerbstätige mit ohnehin schon niedrigeren Einkommen  haben deutlich mehr unter den wirtschaftlichen Folgen zu leiden als Menschen mit höheren Einkommen. Sie haben beispielsweise deutlich häufiger schon Einkommen eingebüßt, bei Kurzarbeit erhalten sie seltener eine Aufstockung des Kurzarbeitergeldes und sie fürchten etwa doppelt so häufig, als Folge der Pandemie ­ihren Arbeitsplatz zu verlieren. Das zeigen erste Ergebnisse einer erneuten Online-Befragung, für die im Auftrag der Hans-Böckler-Stiftung zwischen Mitte und Ende Juni 2020 6309 Erwerbstätige interviewt worden sind. Mütter übernehmen weiterhin deutlich häufiger als Väter den Hauptteil der anfallenden zusätzlichen Betreuungsarbeit. Der Anteil der Männer ist im Vergleich zum April 2020 sogar leicht rückläufig. Der Abstand zwischen den durchschnittlichen Arbeitszeiten von Vätern und Müttern ist weiterhin deutlich größer als vor Beginn der Krise.

Generell bessere Perspektiven in der Krise haben Beschäftigte in Unternehmen mit Tarifvertrag beziehungsweise Mitbestimmung: Kurzarbeiter mit Tarifvertrag erhalten beispielsweise zu 54 Prozent eine Aufstockung, während es ohne Tarifvertrag nur 31 Prozent sind. In mitbestimmten Betrieben existieren deutlich häufiger feste Regeln für das Home­office als in Betrieben ohne Betriebsrat. Gibt es eine solche Vereinbarung, empfinden Befragte die Arbeitssituation zu Hause als weniger belastend.

„Angesichts der enormen Erschütterungen durch die Pandemie zeigt sich die deutsche Gesellschaft bislang vergleichsweise stabil. Ein handlungsfähiger Sozialstaat, stabile Arbeitnehmerrechte mit Tarifverträgen und Mitbestimmung, eine lösungsorientierte Politik und ein meist sozialpartnerschaftlicher Ansatz zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern verhindern noch Schlimmeres. Aber unsere Stabilität ist gefährdet. Sie kann ins Wanken geraten, wenn diejenigen, die schon vorher finanziell und sozial schlechter gestellt waren, in der Krise noch weiter zurückfallen“, so Bettina Kohlrausch. Die WSI-Direktorin und Soziologieprofessorin an der Universität Paderborn hat die neue Befragung ausgewertet. Soziale Balance müsse ein primäres Ziel der Anti-Krisenstrategie sein, und zwar auch über die akute Pandemiesituation hinaus: „86 Prozent der Befragten äußern Sorgen, dass die soziale Ungleichheit in Deutschland weiter steigt. Wir hätten ein großes Problem, wenn sich der Eindruck festsetzen würde: Der Staat hat die Wirtschaft mit Milliarden gerettet, aber dafür müssen die sprichwörtlichen kleinen Leute zahlen.“ Die Umfrageergebnisse ließen Anzeichen dafür erkennen, dass sich „nachvollziehbare Ängste und Verschwörungserzählungen“ teilweise vermischen können. Der Gesetzgeber habe es in der Hand, sie zu entkräften.>>>

In der Erwerbsbevölkerung ist der Anteil derjenigen, die bereits Einkommenseinbußen erlitten haben, zwischen April 2020 und Juni 2020 von 20 auf 26 Prozent gestiegen. Dagegen machen sich etwas weniger  Menschen Sorgen um ihre wirtschaftliche Zukunft oder ihren Job. Erfolge bei der Eindämmung der Epidemie und die Anti-Krisenpolitik von Bund und Ländern werden also offensichtlich positiv wahrgenommen. Nach wie vor sind insgesamt rund zwei Drittel der Bevölkerung eher oder voll zufrieden mit dem Krisenmanagement. Die Zustimmungswerte steigen mit dem Einkommen und liegen zwischen 46 Prozent bei Erwerbstätigen mit einem monatlichen Haushaltsnettoeinkommen unter 1500 Euro und 72 Prozent bei einem Einkommen über 3200 Euro. Dass die Pandemie „benutzt wird, um die Interessen von Reichen und Mächtigen durchzusetzen“, können sich knapp 39 Prozent aller Befragten vorstellen. Menschen mit niedrigen Einkommen stimmen hier zu 50 Prozent zu.

12 Prozent der befragten Erwerbstätigen gaben an, im Juni 2020 in Kurzarbeit zu sein. Hochgerechnet auf die Gesamtzahl der Beschäftigten, die in Kurzarbeit gehen können, entspräche dies knapp fünfeinhalb Millionen Menschen. 9 Prozent gaben an, „weniger zu arbeiten“ oder ihre vertragliche Arbeitszeit reduziert zu haben, aber nicht in Kurzarbeit zu sein. Hierzu dürften vor allem Selbständige zählen. 14 Prozent sagen, sie würden mehr arbeiten.

Von den Befragten in Kurzarbeit erklären 43 Prozent, dass ihr Kurzarbeitergeld aufgestockt werde, rund 10 Prozentpunkte mehr als im April 2020. Dazu dürfte beitragen, dass das gesetzliche Kurzarbeitergeld mittlerweile ab dem vierten Bezugsmonat auf bis zu 77 Prozent steigt. Unabhängig davon gibt es der Umfrage zufolge mit Tarifvertrag weiterhin deutlich häufiger eine Aufstockung. Auch das Einkommen spielt eine Rolle: Befragte, die weniger als 1500 Euro zur Verfügung haben, erhalten zu 33 Prozent eine Aufstockung, Personen mit einem Einkommen von mindestens 2600 Euro zu 48 Prozent.

Die Folgen der Krise spüren die Befragten zunehmend im eigenen Portemonnaie: Im April 2020 sagten 20 Prozent, die Epidemie habe sich bereits negativ auf ihr persönliches Einkommen ausgewirkt, im Juni waren es 26 Prozent. Auch hier zeigt sich eine deutliche soziale Spreizung: In Haushalten mit einem Einkommen unter 1500 Euro berichten 40 Prozent von Einbußen, bei einem Einkommen ab 3200 Euro sind es 22 Prozent. In allen Einkommensgruppen geben etwas weniger Personen an, Einbußen zu erleben, wenn sie ein Arbeitsverhältnis mit Tarifvertrag haben.

Zugleich haben die Zukunftsängste im Durchschnitt etwas abgenommen: Sorgen um die eigene wirtschaftliche Situation äußerten im April 2020 70 Prozent der Erwerbstätigen, im Juni 58 Prozent. Am stärksten sank der Anteil unter den Befragten mit mehr als 3200 Euro Haushaltsnettoeinkommen, nämlich von 61 auf 47 Prozent. Dagegen blieb er in der Gruppe unter 1500 Euro mit 83 beziehungsweise 82 Prozent praktisch unverändert und weitaus höher.

Die Betreuungsarbeit übernehmen vor allem die Frauen. Das gaben sowohl männliche als auch weibliche Befragte an, die in Paar­beziehungen leben und Kinder haben. Gegenüber dem April 2020 ist der Anteil der in erster Linie betreuenden Väter und der Paare mit ausgeglichener Verteilung noch einmal leicht gesunken. „Die Befürchtung bleibt, dass sich Mütter und Väter unter dem Druck der Krise wieder an traditionellere Rollenmuster gewöhnen“, sagt Kohlrausch. Männliche Befragte mit Kindern waren vor der Coronakrise im Durchschnitt 41 Stunden pro Woche erwerbstätig, Frauen 31 Stunden. Ende Juni 2020 waren es 38 und 26 Stunden. Die Differenz stieg also von 10 auf 12 Stunden.

Es arbeiten weitaus mehr Befragte mobil und im Homeoffice als vor Ausbruch der Pandemie. Allerdings ist der Anteil gegenüber April 2020 wieder gesunken, was für eine gewisse Normalisierung spricht. Vor der Krise arbeiteten rund 4 Prozent der Befragten überwiegend oder ausschließlich zu Hause, im April 2020 waren es 27 Prozent, im Juni 16 Prozent. Weitere 17 Prozent gaben im Juni an, abwechselnd im Betrieb, mobil oder zu Hause zu arbeiten.

Die Erfahrungen mit dem Homeoffice sind oft gemischt. So haben 60 Prozent der betroffenen Befragten den Eindruck, dass die Grenzen zwischen Arbeit und Freizeit verschwimmen. 37 Prozent geben an, mehr Wochenstunden zu arbeiten. Andererseits sagen 77 Prozent, das Homeoffice erleichtere die Vereinbarkeit von Beruf und Familie. 60 Prozent glauben, die Arbeit daheim sogar effektiver organisieren zu können als im Betrieb. Insgesamt deutlich positiver urteilen Befragte, in deren Unternehmen klare Regeln zum Homeoffice gelten. Von solchen Regeln berichten 62 Prozent der Beschäftigten in mitbestimmten Betrieben, ohne Betriebsrat aber nur 37 Prozent.

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