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Magazin Mitbestimmung

Porträt: Vom Azubi zur Aufsichtsrätin

Ausgabe 03/2016

Seit drei Jahren sitzt die 34-jährige Nadine Seidemann im Aufsichtsgremium des Branchenprimus Südzucker AG. Von Stefan Scheytt,

Zum Gespräch hat sie einen Leitz-Ordner mitgebracht, darin Protokolle von Aufsichtsratssitzungen. Nicht, dass Nadine Seidemann daraus Details preisgeben würde. Die Verschwiegenheitspflicht als Aufsichtsrätin ist ihr allzu bewusst – und oft genug eine Last, weil sie auch Betriebsrätin ist: „Das ist eine Gratwanderung. Wenn ich von der Aufsichtsratssitzung komme, erwarten die Betriebsratskollegen natürlich Informationen. Aber ich kann eben nicht alles weitergeben.“ Der Leitz-Ordner vor ihr auf dem Tisch ist deshalb eher Ausdruck dafür, dass sich Nadine Seidemann umfassend informiert fühlt: „Zu allen wichtigen Fragen wird im Vorfeld umfassend kommuniziert.“

Nadine Seidemann begann mit 16 eine Lehre zur Industriekauffrau im Werk Rain am Lech der Mannheimer Südzucker AG; danach arbeitete sie vier Jahre als Sachbearbeiterin im Controlling. Als der damalige Gesamtbetriebsratsvorsitzende ihr eine Stelle als Assistentin anbot, erkannte sie „ein Sprungbrett“ – das sie nutzte für einen Weg „vom Azubi zur Aufsichtsrätin“, wie sie selbst sagt. Und wuchs hinein in ihre Rolle als Arbeitnehmervertreterin – zunächst als Assistentin des GBR-Chefs, später als Betriebsrätin und seit 2013, mit 31, als Nachrückerin im Aufsichtsrat der Südzucker AG.

Diese nicht alltägliche Karriere hat gewiss mit der Zielstrebigkeit von Nadine Seidemann zu tun, die sich gleich nach ihrer Ausbildung im Abendstudium zur Betriebswirtin weiterbildete. Aber auch mit der Südzucker AG: Der größte Zuckerproduzent Europas, mehrheitlich in den Händen von Zuckerrübenanbauern, bekennt sich zur Mitbestimmung, hat in allen Werken einen Betriebsrat und auf Konzernebene seit 20 Jahren einen Eurobetriebsrat. „Wir haben Tarifverträge und Betriebsvereinbarungen, der Organisationsgrad ist sehr gut“, sagt Seidemann. Sie selbst trat als frische Auszubildende der NGG bei. „Das ist hier so üblich“, erklärt sie.

Im 20-köpfigen Aufsichtsrat, dessen stellvertretender Vorsitzender der ehemalige NGG-Chef Franz-Josef Möllenberg ist, würden sämtliche wichtigen Themen vorgestellt und diskutiert: Firmenverkäufe und Beteiligungen, Umstrukturierungen, Kostensparprogramme, Jahresabschluss und Gewinnverwendung, Investitionsplanungen, Vorstandsgehälter. „Ja“, sagt Nadine Seidemann nachdrücklich, „wir bestimmen definitiv mit.“ Neben den vier regulären und gelegentlichen außerordentlichen Sitzungen spielten die Vorbesprechungen der Arbeitnehmervertreter eine wichtige Rolle, auch weil dazu regelmäßig der Vorstandschef eingeladen wird. „Die Strategie ist originäre Aufgabe des Vorstands, aber sie ist nicht in Stein gemeißelt“, sagt Seidemann. „Wir stehen beratend zur Seite, bringen Vorschläge ein.“ Nadine Seidemann spricht von Dialog- und Konsenskultur, sie erlebe die Arbeit im Aufsichtsrat als ein Miteinander, um den Marktführer Südzucker im Interesse aller fit zu machen für die Zukunft.

Die freilich verheißt unruhig zu werden. Denn nicht nur Südzucker, die gesamte Branche steht vor großen Umwälzungen: Im September 2017 wird die europäische Zuckermarktordnung auslaufen, die Produktionsquoten für Zucker und Isoglukose festlegte, ebenso Rübenmindestpreise; das aus Mais oder Getreide gewonnene Konkurrenzprodukt Isoglukose, das im EU-Markt bislang kaum eine Rolle spielte, wird den Preiswettbewerb weiter anheizen und auf die Margen der Zuckerproduzenten drücken.

Und mit noch einem Problem kämpft die Zuckerbranche: 2014 verhängte das Bundeskartellamt Bußgelder in Höhe von 280 Millionen Euro gegen die drei großen deutschen Zuckerhersteller, darunter die Südzucker AG, wegen wettbewerbsbeschränkender Gebiets-, Quoten- und Preisabsprachen über viele Jahre hinweg. Einige Hersteller von Bonbons, Schokoriegeln und anderen Lebensmitteln fordern jetzt vor Gericht Schadenersatz wegen überhöhter Preise. „Das war und ist ein heißes Eisen im Aufsichtsrat, es gab deshalb schon außerordentliche Sitzungen“, sagt Nadine Seidemann. „Ein unangenehmes Thema, das auf den Tisch muss.“ Allerdings auf keinen öffentlichen Tisch, sondern nur auf den des Aufsichtsrats, findet sie. Der Leitz-Ordner vor ihr bleibt deshalb zu. Definitiv.

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Zur Person

Seit 2006 gehört Nadine Seidemann dem Betriebsrat der Zuckerfabrik in Rain am Lech an und ist Mitglied 
im GBR, freigestellt ist sie nicht. Die Mutter zweier kleiner Kinder arbeitet derzeit 30 Stunden in der Woche, vor allem in der Auftragserfassung. Bei den Wahlen 2017 zum Aufsichtsrat will sie wieder kandidieren: „Man kann diese Aufgabe lernen. Aber es braucht Zeit, hineinzuwachsen.“

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