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HBS Böckler Impuls

Abgeltungssteuer: Rabatt ohne Rechtfertigung

Ausgabe 07/2016

Seit 2009 müssen Steuerpflichtige in Deutschland nie mehr als 26,4 Prozent ihrer Kapitaleinkünfte an den Fiskus abgeben. Was seinerzeit als Notwehrmaßnahme gegen Steuerflucht eingeführt wurde, ist heute nicht mehr zeitgemäß.

Das Kapital ist ein scheues Reh, stets auf dem Sprung ins nächste Steuerparadies. Dieser Auffassung war die Einführung der Abgeltungssteuer geschuldet. Kernargument des damaligen Finanzministers Peer Steinbrück: Wenn der geltende Spitzensteuersatz von den Beziehern hoher Dividenden oder Zinseinkünfte ohnehin nicht gezahlt würde, weil deren Depots außerhalb der Reichweite der deutschen Steuerverwaltung lägen, müsse der Staat ihnen ein günstigeres Angebot machen, um überhaupt Steuern auf Kapitalerträge einzunehmen. So werden heute auch für Millionäre nicht mehr als 25 Prozent plus Solidaritätszuschlag – zusammen 26,4 Prozent – fällig.

Schon 2009 war die Einführung der Abgeltungssteuer nicht unumstritten. Aus zwei Gründen erscheint sie heute aber noch fragwürdiger als damals, stellt Margit Schratzenstaller vom Österreichischen Institut für Wirtschaftsforschung fest. Erstens hat sich die internationale ­Kooperation beim Kampf gegen Steuerhinterziehung in jüngster Zeit substanziell verbessert, etwa durch von der OECD erarbeitete globale Standards zum automatischen Informationsaustausch. Auch wenn – Stichwort Panama Papers – längst nicht alle Lücken geschlossen sind. Zweitens setzt sich in der Wissenschaft die Erkenntnis durch, dass die weltweit zunehmende Ungleichheit der wirtschaftlichen Entwicklung mehr schadet als nützt, wie neuerdings auch in Publikationen von OECD oder IWF zu lesen ist.

Die Steuerexpertin konstatiert, seit Anfang der 1980er-Jahre sei „ein genereller Trend zur steuerlichen Entlastung von Vermögen sowie von hohen Einkommen in den meisten EU-Ländern festzustellen“. Allein zwischen 1998 und 2008 sei in der EU der durchschnittliche Spitzensatz der Einkommenssteuer von 46 auf 38 Prozent gesunken. Bis 2014 stieg er wieder auf 40 Prozent. Deutlicher ist der Abwärtstrend bei der Körperschaftssteuer. Kapitalgesellschaften zahlen aktuell im europäischen Schnitt nur 25 Prozent. 1998 waren es noch 34 Prozent.

Hinzu komme eine strukturelle Veränderung vieler Steuersysteme, analysiert die Ökonomin. Der Trend ging zur sogenannten Dualisierung der Einkommensbesteuerung. Das heißt: Arbeitseinkommen werden progressiv besteuert wie bisher, für Kapitaleinkommen gelten hingegen relativ niedrige Pauschalsätze – gleichgültig, ob es sich bei den Beziehern von Zinsen, Dividenden oder Spekulationsgewinnen um Kleinsparer oder Einkommensmillionäre handelt. Dahinter standen Schratzenstaller zufolge einerseits die Überlegungen von Finanzwissenschaftlern der 1970er- und 1980er-Jahre, die Steuern auf Kapitaleinkommen am liebsten ganz abgeschafft hätten. Andererseits setzte ein verschärfter internationaler Steuerwettbewerb die Staaten unter Druck. Im EU-Durchschnitt fallen heute 22 Prozent Steuern auf Kapitaleinkünfte an, wobei besonders in Osteuropa niedrige Steuersätze dominieren.

Die Zeit ist reif für Umverteilung

In einer Zeit, in der die wachsende Ungleichheit immer mehr zum ökonomischen und gesellschaftlichen Problem wird, sollte sich die Steuerpolitik nach Auffassung Schratzenstallers wieder der progressiven Umverteilung von Einkommen annehmen. Für Deutschland heißt das: Statt pauschaler Abgel­tungssteuer würde für Bezieher hoher Kapitaleinkünfte wieder der an der persönlichen finanziellen Leistungsfähigkeit orientierte Einkommensteuersatz zur Geltung kommen. Bei steigenden Einnahmen könnten im Gegenzug die Mehrwert- und Lohnsteuern sinken, die vor allem von Normal- und Geringverdienern gezahlt werden. Grundsätzlich würde eine höhere Besteuerung von Kapitaleinkünften dieselben Ziele erfüllen wie eine Wiedereinführung der Vermögenssteuer.

Ein weiteres Argument für die Abschaffung der Abgeltungssteuer nennt der Wirtschaftsprofessor Manfred Gärtner von der Universität St. Gallen: Wenn die Einführung der Pauschalsteuer eine Notwehrmaßnahme in einer bestimmten historischen Situation war, gebiete es „der politische Anstand“, die Steuer zurückzunehmen, sobald die Notsituation nicht mehr besteht – weil es heute wesentlich schwieriger ist, Steuern auf Kapitaleinkünfte zu hinterziehen, als es 2009 der Fall war.

  • Weniger als ein Drittel der Steuereinnahmen speist sich aus Gewinn- und Vermögenseinkommen. Zur Grafik

Margit Schratzenstaller: Gute Gründe für eine substanzielle Kapitalbesteuerung; Manfred Gärtner: Abgeltungssteuer adieu: Eine Frage des Anstands und gut für alle, in: Wirtschaftsdienst 2/2016

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