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Magazin Mitbestimmung

Kooperation: Brücke zwischen Hörsaal und Fabrikhalle

Ausgabe 07/2015

Wissenschaft trifft Interessenvertretung: Seit 1975 bringen Ruhr-Universität Bochum und IG Metall wissenschaftliches Forschen und sozialpolitische Praxis zusammen. Von Martin Kaluza

Vor 40 Jahren schlossen zwei Institutionen einen Kooperationsvertrag, die auf den ersten Blick eigentlich gar nicht zusammenpassten: die Ruhr-Universität Bochum und die IG Metall. Der Vertrag wurde in einer Zeit geschlossen, in der sich Wissenschaft und Arbeitswelt noch misstrauisch beäugten. Dem Vertrag folgte vier Jahre später, 1979, die Einrichtung der Gemeinsamen Arbeitsstelle (GAS) der Ruhr-Universität Bochum und der IG Metall. Sie ist bis heute das Herzstück der Kooperation – und eine Erfolgsgeschichte.

UNIVERSITÄT IM AUFBRUCH

„Gewerkschaften und Universitäten haben sehr unterschiedliche Wissensbestände“, sagt Manfred Wannöffel, Professor und Geschäftsführer der Gemeinsamen Arbeitsstelle in Bochum. Diese Bestände wollen die beiden Akteure zusammenführen. Zu Beginn hieß das: Die Uni öffnet sich der Praxis und Themen aus der Arbeitswelt. Und die Gewerkschaften erhalten wissenschaftlich fundierte Impulse für die Arbeitswelt. Die vom DGB und der Hans-Böckler-Stiftung koordinierte Bundesarbeitsgemeinschaft der Kooperationsstellen drückt es so aus: „So wird es möglich, Probleme aus der Arbeitswelt zu bearbeiten, deren Lösungen mehr erfordern als eine einfache Anwendung wissenschaftlicher Erkenntnisse.“

Die Gemeinsame Arbeitsstelle RUB/IGM bietet heute Lehrveranstaltungen für Studierende der Ruhr-Uni an, und sie bildet Arbeitnehmer und Betriebsräte weiter. Die Einrichtung betreibt arbeitssoziologische Forschung und richtet Tagungen und Diskussionsveranstaltungen aus. Neben Wannöffel beschäftigt sie drei wissenschaftliche Mitarbeiter.

Dass Wissenschaft und Gewerkschaft gerade in Bochum die Zusammenarbeit suchten, war kein Zufall. Die Ruhr-Universität war 1965 als erste Universität im Ruhrgebiet neu gegründet worden. Günter Ewald, damals Rektor der Ruhr-Uni, sagte in seiner Rede zur Unterzeichnung des Kooperationsvertrages 1975: „Die Ruhr-Universität war von vornherein in besonderer Weise dazu ausersehen, für die Arbeitnehmerbevölkerung des Ruhrgebiets da zu sein, in einer hinsichtlich höherer Bildung vernachlässigten Region. Was lag näher, als mit den Gewerkschaften, die Millionen von Arbeitnehmern vertreten, gemeinsam zu überlegen, wie sich der Auftrag der Ruhr-Universität im Ruhrgebiet konkretisiert?“ 

Zuvor hatte es erst zwei vergleichbare Kooperationsverträge gegeben, sie waren 1971 zwischen der Arbeiterkammer und der Universität Bremen sowie 1974 zwischen der Universität Oldenburg, dem DGB Niedersachsen und der Bildungsvereinigung Arbeit und Leben unterzeichnet worden. Was 1975 die Ruhr-Uni zu einem der Vorreiter machte, ist inzwischen ein etabliertes Modell: 18 Kooperationsstellen gibt es heute an bundesdeutschen Hochschulen. 

Als Zentraleinrichtung der Bochumer Uni ist die Gemeinsame Arbeitsstelle nicht an einen bestimmten Lehrstuhl gebunden, sondern steht allen Studierenden offen. „Sie ist vollständig aus Mitteln des Globalhaushaltes der Universität finanziert und finanziell komplett unabhängig von der IG Metall“, sagt Wannöffel. Die Verbindung zur IG Metall wird durch ein paritätisch besetztes Kuratorium hergestellt, zudem trifft sich regelmäßig ein gemeinsamer Arbeitsausschuss.

INGENIEURE LERNEN MITBESTIMMUNG

Die GAS versteht sich nicht als reine Forschungskooperation. Sie bietet ganz unterschiedlichen Zielgruppen ein Seminar- und Weiterbildungsprogramm. Mit Lehrstühlen der Ruhr-Universität hat sie gemeinsame, interdisziplinäre Lehrmodule für Ingenieure und Sozialwissenschaftler entwickelt, etwa die zweisemestrige Lehrveranstaltung „Management, Arbeit und Organisation“ (kurz MAO). Neben Themen wie Ressourceneffizienz oder Prozessoptimierung lernen hier angehende Ingenieure und Manager, welche Mitbestimmungspflichten es gibt, wie ein Betriebsrat funktioniert und was Betriebsvereinbarungen sind. In einem Planspiel beispielsweise nehmen sie die Rollen von Management und Betriebsrat ein und simulieren, wie man gemeinsam Konzepte zur Steigerung der Produktivität ausarbeitet oder die Rahmenbedingungen für „gute Arbeit“ gestaltet. 

„Betriebe haben ein soziales Innenleben“, erklärt Wannöffel. „Wie wir diese Einsicht in die Lehre integrieren, macht uns als Einrichtung aus.“ Dass die Ingenieurwissenschaften in Bochum für die Zusammenarbeit mit der GAS so offen waren, hat seinen Grund auch darin, dass die Abbrecherquoten zuletzt deutlich angestiegen waren. Die Öffnung der Ingenieurwissenschaften zu sozialen Themen und Fragen der Mitbestimmung ist Teil eines neuen Selbstverständnisses.

Neben den Lehrveranstaltungen des Regelstudiums bietet die Gemeinsame Arbeitsstelle Weiterbildungen an, etwa den Studiengang „Innovation durch Mitbestimmung“. Und gemeinsam mit der IG Metall und dem Lehrstuhl für Produktionssysteme betreibt die GAS den bundesweiten Ausbildungsgang „Arbeit und Innovation – ARIBERA“, in dem Betriebsräte zu sogenannten Innovationspromotoren ausgebildet werden. 

IMPULS FÜR DIE REGION

Nicht zuletzt ist die GAS an einer Einrichtung der Ruhr-Uni beteiligt, in der sie gebündelt die Art praxisorientierter Sozialwissenschaft umsetzen kann, die sie sich auf die Fahnen geschrieben hat: an der Lernfabrik. Das ist eine simulierte Fabrik, an der die Teilnehmer unter realistischen Produktionsbedingungen lernen. Gegründet wurde sie 2009 vom Lehrstuhl für Produktionssysteme der RUB. Gemeinsam führen die Einrichtungen Forschungen zu industriepolitischen Themen durch. 

Wannöffel ist dabei ein Aspekt wichtig, der sich von Beginn an durch die Arbeit der GAS zieht: das Engagement in der Region, für den sich wandelnden Industriestandort Bochum. Nach der Schließung der großen Werke von Nokia im Jahr 2008 und Opel im vergangenen Dezember hat sich der Strukturwandel weiter zugespitzt. Umso wichtiger ist es den GAS-Partnern, neue Perspektiven für die Region zu entwickeln. „Wir haben erreicht, dass die Lernfabrik 2013 in den Sozialvertrag zwischen der Adam Opel AG und der IG Metall aufgenommen wurde und nun gefördert wird“, sagt Wannöffel.

Geht es nach dem Willen der Beteiligten, dann sollen sich in Zukunft auf der freien Opel-Fläche rund um die Lernfabrik auch wieder Industrieunternehmen ansiedeln. Bereits heute wird die Fabrik für Auftragsfertigungen regionaler Unternehmen eingesetzt.

Mehr Informationen

Das 40-jährige Bestehen des Kooperationsvertrags beging die Gemeinsame Arbeitsstelle RUB/IGM am 10. Juli mit einer Jubiläumsveranstaltung in Bochum. Dort wurde der Jubiläumssammelband vorgestellt: Ludger Pries/Hans-Jürgen Urban/Manfred Wannöffel (Hrsg.): WISSENSCHAFT UND ARBEITSWELT – EINE KOOPERATION IM WANDEL. Baden-Baden, edition sigma in der Nomos Verlagsgesellschaft 2015

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