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HBS Böckler Impuls

Wirtschaftswissenschaft: Kein Platz für Gute Arbeit

Ausgabe 09/2015

Die Lehrbuch-Ökonomie hat ein sehr einseitiges Verständnis von Arbeit: Beschäftigte tauschen Freizeit gegen Geld zum Kauf von Konsumgütern. Dass Jobs besser oder schlechter, sinnstiftend oder stumpfsinnig sein können, kommt nicht vor.

Arbeit hat viele Facetten. Sie kann soziale Bedürfnisse erfüllen, dem Leben einen Sinn geben, die Entwicklung der Persönlichkeit fördern, kreativ sein – wenn die Rahmenbedingungen stimmen. In der Wirtschaftswissenschaft kommen diese Aspekte jedoch zu kurz. Darauf macht David A. Spencer, Wirtschaftsprofessor an der University of Leeds, aufmerksam. Der verengte Blick der Ökonomen erklärt sich laut Spencer aus einer langen Tradition, die bereits bei Adam Smith, dem Begründer der neuzeitlichen Wirtschaftslehre, beginnt. Und sie hat konkrete Folgen für die Gegenwart: Weil die herrschende Ökonomie den Nutzen Guter Arbeit verkennt, sperrt sie sich gegen Regulierungen, die zu besseren Arbeitsbedingungen führen.

Dass Arbeit auch angenehm und erfüllend sein kann, dass Beschäftigte in ihr einen Sinn jenseits der Entlohnung sehen können, kam den Wirtschaftstheoretikern früherer Jahrhunderte nicht in den Sinn. Bei Smith ist Arbeit stets gleichbedeutend mit Mühe, Schweiß und Schmerz. In der Nutzenlehre Jeremy Benthams ist sie ein unvermeidliches Übel, dem lediglich die Freude am anschließenden Konsum gegenübersteht. Charakteristisch für diese Vorstellungen von Arbeit ist, so Spencer, ein „eingebauter Fatalismus“.

Ein weiteres Gedankenmodell – das heute „in allen ökonomischen Lehrbüchern anzutreffen ist“ – basiert auf dem Gegensatz zwischen Arbeit und Freizeit. Beschäftigte müssen demnach Freizeit gegen Arbeitszeit tauschen, wobei Letztere grundsätzlich negativ gesehen wird. Ein dritter verbreiteter Ansatz, der Arbeit ausschließlich als Last begreift, ist dem Forscher zufolge die sogenannte Prinzipal-Agent-Theorie. Sie besagt, dass Beschäftigte stets versuchen, mit dem geringsten Einsatz durchzukommen: Sobald der Vorgesetzte den Blick abwendet, fangen die Arbeiter an zu bummeln.

All diese Theorien unterstellen, dass Arbeit von Natur aus unangenehm ist, konstatiert Spencer. Dabei sei es doch vor allem eine Frage der sozialen Institutionen, ob Arbeit Lust oder Frust auslöst. Indem sie die sozialen und ethischen Dimensionen von Arbeit übersehe, zeichne die Wirtschaftswissenschaft ein falsches Bild, das bestimmten ideologischen Positionen Vorschub leiste – etwa der Annahme, dass Beschäftigte ohne penible Überwachung grundsätzlich faulenzen. Auch die Vorstellung, Arbeitnehmer würden freiwillig und genau in dem Umfang, der ihren persönlichen Vorlieben entspricht, Freizeit gegen Arbeitszeit tauschen, gehe an der Realität vorbei. Tatsächlich, so der Wissenschaftler, haben die meisten keineswegs die freie Wahl. „In der kapitalistischen Gesellschaft ist die Annahme einer bezahlten Beschäftigung eher eine Verpflichtung als eine freiwillige Entscheidung.“ Zudem müssten sich viele mit Stellen zufriedengeben, die ihren Wünschen wenig entsprechen. Nach Spencers Analyse führt die Fiktion der Freiwilligkeit in Kombination mit dem – angeblich – unabänderlich belastenden Charakter der Arbeit die Mainstream-Ökonomie zu der fragwürdigen Schlussfolgerung, dass die Arbeitswelt am besten weitgehend unreguliert bliebe. Diese Haltung habe nicht nur negative Konsequenzen für die Arbeitnehmer, warnt der Forscher. Auch die volkswirtschaftliche Produktivität leide, wenn schlechte Arbeitsbedingungen die Beschäftigten davon abhalten, ihr Potenzial zu entfalten.

Daher sollten viele Wirtschaftswissenschaftler ihre Vorstellung von Arbeit korrigieren. Sie müssten zur Kenntnis nehmen, dass ein Bedürfnis nach sinnvoller und kreativer Beschäftigung in der Natur des Menschen liege, wie etwa Karl Marx oder der amerikanische Soziologe und Ökonom Thorstein Veblen betont haben. Es sei nicht damit getan, Umfragen zur Arbeitszufriedenheit zu veranstalten. Dieser Ansatz der ökonomischen Glücksforschung erweitere das individualistische, mit subjektiven Präferenzen argumentierende Standardkonzept der herrschenden Lehre nur ein wenig. Um sinnvoller und menschengerechter Arbeit zu einem angemessenen Stellenwert zu verhelfen, seien aber größere Umbauten im Theoriegebäude nötig.

  • Vielen fehlen am Arbeitsplatz persönliche Entfaltungsmöglichkeiten. Zur Grafik

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