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HBS Böckler Impuls

Löhne: Kaum noch Tarife unter 8,50 Euro

Ausgabe 08/2015

Beschäftigte mit Tarifverträgen sind immer seltener von Niedriglöhnen betroffen. Aktuell sehen nur noch sechs Prozent der tariflichen Vergütungsgruppen Löhne unter 8,50 Euro vor.

Das Tarifsystem stabilisiert die Lohnentwicklung ganz wesentlich, zeigen Untersuchungen des WSI-Tarifarchivs. So haben die Tariflöhne seit der Jahrtausendwende preisbereinigt spürbar zugelegt. Dagegen stagnierten die allgemeinen Bruttoverdienste, bei denen auch die Löhne von Beschäftigten ohne Tarifvertrag erfasst sind, bis ins vergangene Jahr. Wer nach Tarif bezahlt wird, verdient im Durchschnitt gut 6 Prozent mehr als ein Beschäftigter mit gleicher Qualifikation und Tätigkeit in einem vergleichbaren Betrieb ohne Tarifbindung. Allerdings gibt es auch im Tarifsystem Ausreißer, so WSI-Experte Reinhard Bispinck: Noch immer existieren einige tarifliche Niedriglöhne, es werden aber weniger.

Für seine neue Auswertung hat das Tarifarchiv rund 4.560 Vergütungsgruppen aus Tarifverträgen untersucht, die DGB-Gewerkschaften abgeschlossen haben. Dabei betrachteten die Forscher 40 Wirtschaftszweige, in denen rund 17 Millionen Menschen arbeiten. Die große Mehrheit der Tarifgruppen, 94 Prozent, sieht Stundenlöhne über 8,50 Euro vor. 83 Prozent liegen über 10 Euro. Letzteres gilt in großen Branchen wie der Metall- und der Chemieindustrie, dem Bank- und dem Bauhauptgewerbe, der Süßwarenindustrie oder der privaten Abfallwirtschaft für alle Tarifgruppen.

In 284 oder 6 Prozent aller Gruppen sind weniger als 8,50 Euro pro Stunde vorgesehen. In den vergangenen Jahren ist der Anteil aber deutlich zurückgegangen: Ende 2013 lag die Quote noch bei 10, Anfang 2010 bei 16 Prozent. Die positive Entwicklung zeige, „dass die Gewerkschaften die Situation im Niedriglohnsektor aus eigener Kraft deutlich verbessert haben“, sagt WSI-Forscher Bispinck. „Dabei hat sicherlich geholfen, dass der von den Gewerkschaften seit langem geforderte gesetzliche Mindestlohn den Druck auf die Arbeitgeberverbände erhöht hat.“

Bei den aktuell noch in Tarifverträgen ausgewiesenen Vergütungsgruppen unter 8,50 Euro unterscheiden die Forscher zwei Typen: Zwei Drittel davon sind in allgemeinverbindlichen Tarifverträgen zu Branchenmindestlöhnen geregelt. Diese nutzen die im Mindestlohngesetz vorgesehene Übergangsfrist, die bis Ende 2016 eine Unterschreitung des gesetzlichen Mindestlohns durch allgemeinverbindliche Tarifverträge zulässt. Die zweite, kleinere Gruppe stammt vor allem aus älteren Tarifverträgen, die zum Teil schon seit Jahren nicht mehr neu verhandelt wurden. Sie sind seit Januar 2015 nicht mehr gültig, weil der allgemeine Mindestlohn sie verdrängt.

Generell gilt laut WSI-Analyse: Tarifvergütungen unter 8,50 Euro sind in Ostdeutschland mit seinen schwächeren Tarifstrukturen weitaus häufiger als im Westen. Wie viele Beschäftigte in die Tarifgruppen unter 8,50 Euro fallen, lässt sich nicht sagen. Denn es gibt keine übergreifenden Daten dazu, wie Arbeitnehmer in ihren Unternehmen eingruppiert werden. Wahrscheinlich ist, dass etliche der Tarifgruppen im Niedriglohnbereich nur für recht wenige, gering qualifizierte Mitarbeiter gelten. Aber in einigen Wirtschaftszweigen sind tarifliche Niedriglöhne relativ weit verbreitet.

Dazu zählt das WSI verschiedene Handwerks- und Dienstleistungsbranchen, in denen es viele kleine Betriebe und relativ wenige organisierte Beschäftigte gibt. Besonders betroffen sind fünf Branchen: der Erwerbsgartenbau, die Landwirtschaft, die Gebäudereinigung, das Friseurhandwerk und die Floristik. In diesen Branchen liegen zwischen 21 und 83 Prozent der Vergütungsgruppen unter 8,50 Euro. Auch hier beobachten die Forscher immerhin Bewegung: So ist etwa bei den Gartenbauern seit 2010 der Anteil von 41 auf 21 Prozent gesunken, bei den Gebäudereinigern von 36 auf 26 Prozent. Noch deutlich stärker war der Rückgang im Hotel- und Gaststättengewerbe, im Fleischerhandwerk und vor allem im Bewachungsgewerbe. In einigen Branchen ist der Weg zu 8,50 Euro und mehr durch tarifliche Vereinbarungen bereits vorgezeichnet, etwa in der Landwirtschaft, bei Friseuren, im Fleischerhandwerk und in der Textilindustrie, bei Wäschereien sowie in der Leiharbeit.  

  • Der Anteil der tariflichen Vergütungsgruppen, die Stundenlöhne unter 8,50 Euro vorsehen, ist in den vergangenen Jahren von 16 auf nur noch 6 Prozent gesunken. Zur Grafik

Reinhard Bispinck/WSI-Tarifarchiv: WSI-Niedriglohn-Monitoring 2015, Elemente qualitativer Tarifpolitik, Nr. 80, April 2015

Link zur Studie unter boecklerimpuls.de

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