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Magazin Mitbestimmung

Interview: "Mit prekärer Arbeit können die Unis nichts gewinnen"

Ausgabe 04/2015

Der Neurowissenschaftler Günter K. H. Zupanc über prekäre Karrierewege an deutschen Hochschulen und warum US-Unis nur bedingt als Reformvorbild taugen. Das Gespräch führten Jeanette Goddar und Margarete Hasel

Sie haben an deutschen und an US-amerikanischen Universitäten gearbeitet. Können die USA als Vorbild für eine überfällige Hochschulreform hierzulande dienen? 

An den deutschen Hochschulen liegt sicher einiges im Argen. Wenn aber die USA als Vorbild für gute Arbeitsbedingungen an Hochschulen herangezogen werden, scheint mir doch eher ein psychologischer Effekt zu greifen nach dem Motto: Auf der anderen Seite wird das Gras schon grüner sein. 

Dass es an US-Hochschulen kaum befristet und damit unsicher Beschäftigte gibt, steht hierzulande in jedem Bericht über den wissenschaftlichen Nachwuchs, auch in jenen der Bundesregierung oder der Gewerkschaften.

Leider entspricht das nicht der Realität. Ein großer Teil der etwa 1,3 Millionen Dozenten, die an den 4600 Colleges und Universitäten in den USA lehren, arbeitet auf Honorarbasis. Diese Dozenten unterrichten für bestenfalls etwa 5000 Dollar pro Veranstaltung, häufig an mehreren Unis. Unter diesen Rahmenbedingungen ist es schwierig, mehr als sechs Veranstaltungen pro Jahr zu unterrichten, obwohl manche Dozenten bis zu 15 Kurse schaffen. Von den Einnahmen, die jährlich meist nicht über 30.000 Dollar liegen, müssen sie nicht nur ihren Lebensunterhalt bestreiten, sondern als Freiberufler auch noch sämtliche Beiträge für Kranken- und Rentenversicherungen aufbringen. Und wie es im nächsten Semester weitergeht, wissen sie nie.

Mit Neid schauen deutsche Bildungspolitiker wie Nachwuchswissenschaftler auf die sogenannten Tenure-Track-Stellen, bei denen ab der Assistenzprofessur gleichsam eine Dauerprofessur hinterlegt ist.

Doch die Zahl der Stellen sinkt, die mit einer Tenure verknüpft sind: Vor 40 Jahren besaßen sechs von zehn Dozenten eine solche Position. Heute sind es nur noch drei von zehn. Die Tendenz geht dahin, das Tenure-System zu verringern oder gar abzuschaffen. 

Wie genau funktioniert das Modell?

Im Zentrum steht die Planbarkeit. Wer eine Assistenzprofessur mit Tenure-Track antritt, kennt von Beginn an seine Perspektive: Er oder sie weiß, dass nach fünf oder sechs Jahren evaluiert wird; wenn die Begutachtung positiv ausfällt, steht eine assoziierte lebenslange Professur zur Verfügung. Die Stelle kann weder gestrichen werden noch muss der Assistant Professor mit externen Kandidaten konkurrieren. Die Evaluation findet nach transparenten Kriterien statt: In einem objektiven Verfahren werden die Leistungen in Forschung und Lehre von internen Kommissionen und von externen Gutachtern beurteilt; niemand ist auf das alleinige Wohlwollen von Vorgesetzten angewiesen. Im Regelfall wird mit der Tenure-Verleihung der Assistant Professor zum Associate Professor; nach einer weiteren Evaluation einige Jahre später besteht die Möglichkeit, zum Full Professor ernannt zu werden. 

Sind diese Stellen vergleichbar mit den begehrten W3-, ehemals C4-Professuren in Deutschland? 

Fast. Anders als in Deutschland müssen US-Professoren jährlich über ihre Leistungen in Forschung, Lehre und Verwaltung Bericht erstatten; die Gehaltserhöhung hängt von der jährlichen Beurteilung ab. Sie können also nicht einfach gar nichts tun – US-Professoren stehen unter ständigem Leistungsdruck. Dass jemand so wenig vorzeigen kann, dass er entlassen wird, ist sehr selten. Aber es kommt vor. Ein zweiter Unterschied ist: Tenure bedeutet „lebenslänglich“. Ein Professor in den USA, ob Associate oder Full, muss nach Erreichen des Rentenalters nicht seinen Lehrstuhl räumen. Das macht die Tenure teuer: Ein Professor an einer forschungsstarken Uni kann mit all seinen Bezügen und Benefits eine Viertelmillion Dollar und mehr pro Jahr kosten. Diese Kosten will man senken. 

Obwohl die USA einen beispiellosen Ruf riskieren? Sie sind Zielland Nummer eins von Studenten aus der ganzen Welt; die meisten Nobelpreisträger forschen dort. 

Sie verlieren ihren Ruf bereits. Laut weltweiten Uni-Rankings tut sich lediglich unter den Top Ten, also in der Harvard-Liga, nichts. In der Gruppe der besten 200 Universitäten haben US-amerikanische Universitäten binnen drei Jahren insgesamt nahezu 700 Rangplätze verloren. Ich bin überzeugt, dass das außer mit einer desaströsen Forschungsfinanzierung mit der Personalpolitik zu tun hat. Deutschland hat übrigens in der gleichen Zeit um 250 Rangplätze zugelegt. Etwa ein Dutzend deutsche Universitäten sind unter den ersten 200. 

Worauf führen Sie den Punktgewinn zurück?

Meiner Ansicht nach ist vor allem die Internationalisierung ein wichtiger Punkt: Vor wenigen Jahren studierten 175 000 Ausländer in Deutschland, nun sind es 300 000. Es hat sich herumgesprochen, dass man in Deutschland eine hervorragende Ausbildung bekommen kann – und das konkurrenzlos günstig. 

Man könnte auch sagen: Bald zehn Jahre Exzellenzinitiative – also die Förderung von Spitzen-Unis und Spitzenforschung und Spitzen-Graduiertenkollegs – zeigen Wirkung.

Das ist sicher ein Punkt. Aber: Auch Unis, die nie Gelder aus der Exzellenzinitiative bekommen haben, haben sich internationalisiert; auch sie haben hervorragende Graduiertenprogramme geschaffen. Ich glaube, dass Deutschland auf einem guten Weg ist, der Spitze gute Angebote zu machen und zeitgleich eine sehr gute Breitenausbildung zu bieten.

Nun findet auch in Deutschland die Lehre überwiegend auf dem Rücken prekär Beschäftigter statt: Bis zu 75 Prozent der Lehre, so die Schätzungen, werden von nicht fest angestellten Wissenschaftlern erteilt. 

Da tut sich in der Tat ein Widerspruch auf. Einerseits rühmen sich die Universitäten, kritische Vordenker der Republik in ihren Reihen zu haben; viele Professoren setzen sich engagiert für die Rechte von Arbeitnehmern ein. Andererseits dulden sie in ihrem eigenen System Arbeitsbedingungen, die jeder Beschreibung spotten. Zugespitzt gesagt: Wenn sich Supermarktketten leisten würden, was Universitäten sich leisten, gäbe es einen Aufschrei; aber in der Wissenschaft bleibt alles still. 

Warum regt sich so wenig Widerstand?

Ein System, das einen nährt, zu kritisieren, ist selten förderlich. Das sehen Sie auch in Deutschland: Kaum ein Nachwuchswissenschaftler geht an die Öffentlichkeit, aus Angst, nie wieder die nächste – befristete – Beschäftigung zu bekommen. Auch schämen sich viele Wissenschaftler, nach all den Jahren immenser auch persönlicher Investitionen in ihre Ausbildung zu offenbaren, dass sie ein Dasein auf Sozialhilfeniveau fristen. Und: Sie hatten bislang keine öffentlich wahrnehmbare Lobby – nicht in der Politik und auch nicht in den Gewerkschaften. Ich begrüße es deshalb sehr, dass die Gewerkschaften dieses Thema nun aufgegriffen haben mit dem Ziel, diesen skandalösen Arbeitsbedingungen ein Ende zu bereiten. Es ist höchste Zeit.

Auch Hochschulrektoren haben das Thema nicht groß auf ihrer Agenda.

Wer als Präsident oder Rektor gewählt werden will, tut gut daran, die Arbeits- und Karrierebedingungen an der Hochschule nicht zu thematisieren. Sie gelten als Kostentreiber. Tatsächlich müssen die Universitäten aber begreifen, dass sie nur gewinnen können, wenn sie prekären Beschäftigungsverhältnissen ein Ende bereiten. Gute Arbeit motiviert und würde auch die Qualität der Lehre deutlich verbessern. Studien in den USA belegen das eindeutig: Studierende, die von freiberuflichen Lehrbeauftragten unterrichtet werden, bringen schlechtere Leistungen und brechen häufiger das Studium ab. Das leuchtet auch ein: Der Stress, unter dem diese Dozenten stehen, wirkt sich auf die Qualität der Lehre aus. Die Rechnung zahlen nicht zuletzt die Studierenden.

Zur Person

Der Neurowissenschaftler GÜNTER K. H. ZUPANC, 56, kennt die Wissenschaftssysteme in Deutschland wie in den USA gleichermaßen gut. Er studierte an der Universität Regensburg, wurde an der University of California, San Diego, promoviert, arbeitete an Forschungsinstituten in San Diego und Tübingen, habilitierte an der Universität Tübingen. Er war Professor an der privaten International University Bremen, der heutigen Jacobs University. Seit 2009 ist er Full Professor an der Northeastern University in Boston. Auf dem 7. Hochschulpolitischen Forum von Hans-Böckler-Stiftung und DGB im Februar hielt Zupanc, der immer wieder auch mit dezidierten Positionen in der wissenschaftspolitischen Debatte zu vernehmen ist, die Dinner-Speech „Karriere-Irrwege des deutschen Wissenschaftssystems“. 

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