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Magazin Mitbestimmung

Frauenquote: Sportliches Unterfangen

Ausgabe 03/2015

Am 6. März hat der Bundestag eine Frauenquote für Aufsichtsräte beschlossen. Trotz jahrelanger Vorbereitungen ist das Gesetz auch für die Gewerkschaften eine Herausforderung. Denn es gibt noch offene Fragen. Von Joachim F. Tornau

Die nächsten Aufsichtsratswahlen werden nicht einfach. Das gibt Klaus Leger, Konzernbetriebsratschef von Hochtief, offen zu. Nach dem jetzt verabschiedeten Gesetz, das im Bundesfamilien- und im Justizministerium erarbeitet wurden, müssen ab dem kommenden Jahr voll mitbestimmungspflichtige und gleichzeitig börsennotierte Unternehmen eine feste Frauenquote von mindestens 30 Prozent im Aufsichtsrat vorweisen. Dies betrifft rund 110 Unternehmen. Hochtief ist einer der ersten Großkonzerne, der die Vorgaben erfüllen muss. Denn dort wird schon Anfang 2016 ein neuer Aufsichtsrat gewählt. „Doch die Frauen stehen nicht gerade Schlange“, sagt Leger. Derzeit sitzt im Aufsichtsrat von Hochtief erst eine Frau – aufseiten der Anteilseigner.

Obwohl mittlerweile die Angestellten die Mehrheit im Unternehmen stellen und dadurch auch der Frauenanteil stark gestiegen ist, hat Legers Gewerkschaft, die IG BAU, etwas nachzuholen: „Wir sind traditionell eine Männergewerkschaft“, sagt der Betriebsratschef. „Das hat sich über Jahrzehnte auch in den Betriebsräten widergespiegelt.“ Jetzt soll das Gremium Vorschläge für Kandidatinnen machen. Gewählt wird per Listenwahl – Delegierte aller Arbeitnehmer verteilen ihre Stimmen auf alle eingereichten Listen. Eine oder zwei Frauen für die Gewerkschaftsliste würden ihm ja einfallen, sagt Leger, „arg viel mehr aber nicht“. Da ist es fast schon ein Glücksfall, dass das Aufsichtsgremium wegen deutlich zurückgegangener Beschäftigtenzahlen voraussichtlich von 16 auf zwölf Mitglieder schrumpfen wird. Auf der Arbeitnehmerbank wären damit nur noch zwei Sitze weiblich zu besetzen – einer bei den betrieblichen und einer bei den gewerkschaftlichen Vertretern. Das Mandat des einzelnen leitenden Angestellten bleibt bei der Quote außen vor.

Dennoch, sagt Vize-Aufsichtsratsvorsitzender bei Hochtief und IG-BAU-Vorstandssekretär Gregor Asshoff, sei die Herausforderung für das Baugewerbe groß. „Es ist schwer, genügend Frauen zu finden, die geeignet sind, erfahren, im Betrieb anerkannt – und die Mitglied in unserer Gewerkschaft sind.“ Im fünfköpfigen Bundesvorstand der IG BAU gibt es mit Ulrike Laux bislang nur eine Frau. „Die können wir nicht in alle Aufsichtsräte schicken“, meint Asshoff, „sonst macht sie nichts anderes mehr.“ Ganz abgesehen davon, dass sich das nicht mit einem anderen Vorstandsbeschluss vertrüge: Niemand soll mehr als zwei Aufsichtsratsmandate gleichzeitig innehaben.

Wichtig sei zudem, dass das „Band der Legitimation“ zwischen der Belegschaft und den Aufsichtsräten nicht verloren gehe, sagt Lasse Pütz, Wirtschaftsrechtler in der Hans-Böckler-Stiftung. Das heißt: „Die Belegschaft muss sich durch die neuen weiblichen Mitglieder vertreten fühlen. Wenn es zu dem Vorurteil kommt, dass eine Frau nur deshalb im Aufsichtsrat sitzt, weil es die Quote gibt, dann schadet das der Mitbestimmung ebenso wie der betroffenen Person.“

PROBLEM ERKANNT UND HALB GEBANNT

Auch ist die Erkenntnis, dass die Gewerkschaften vor diesem Hintergrund mehr Frauen qualifizieren und insbesondere Betriebsrätinnen fördern müssen, nicht ganz neu. Bereits vor vier Jahren beschloss die IG Metall, dass bis 2018 ein Drittel der Gewerkschaftsvertreter in Aufsichtsräten Frauen sein sollen. Bei den betrieblichen Vertretern wird eine Quote angestrebt, die dem Geschlechterverhältnis in der Belegschaft entspricht. „Da hat sich schon einiges getan“, berichtet Tanja Jacquemin, Leiterin Betriebspolitik bei der Metall-Gewerkschaft. „Aber von 30 Prozent sind wir noch ein gutes Stück entfernt. Das wird ein sportliches Unterfangen.“ 

Zwar ist der Frauenanteil bei den IG-Metall-Sekretären kontinuierlich gestiegen und kratzt mittlerweile an der 30-Prozent-Marke. Aber: Fünf der sieben Mitglieder des Vorstands sowie alle sieben Bezirksleiter sind Männer. Und auch unter den Gesamt- und Konzernbetriebsratschefs finden sich kaum Frauen. „Bei den Führungspositionen“, sagt Jacquemin, „können wir noch eine Schippe drauflegen.“ Um mehr Frauen für die Gremienarbeit zu gewinnen, will die IG Metall spezielle Seminare ins Leben rufen. „Wir reden hier aber nicht von einer Sonderqualifizierung – Frauen sind ja per se nicht weniger geeignet als Männer.“

Ganz anders ist die Ausgangssituation bei ver.di: In der Dienstleistungsgewerkschaft stellen Frauen die Hälfte der Mitglieder. Acht von 14 Bundesvorstandsmitgliedern sind weiblich und knapp 40 Prozent der Betriebsratsvorsitzenden. „Ich glaube nicht, dass es an Kandidatinnen mangeln wird“, sagt Martin Lemcke, Leiter des Bereichs Mitbestimmung in der ver.di-Bundesverwaltung. Schwieriger werde es, „den einen oder anderen Mann davon zu überzeugen, sein Aufsichtsratsmandat aufzugeben“. Bereits 2003 hat sich die Gewerkschaft eine Richtlinie gegeben, nach der Frauen und Männer bei der Besetzung von Aufsichtsratsposten gemäß ihrem Anteil an der Belegschaft berücksichtigt werden sollen. Derzeitiger Stand: Rund ein Drittel der gewerkschaftlichen und ein Viertel der betrieblichen Aufsichtsratsmitglieder der Arbeitnehmerseite in den paritätisch mitbestimmten Unternehmen sind Frauen. 

WAS PASSIERT MIT „FALSCHEN“ WAHLERGEBNISSEN?

Abgesehen von praktischen Problemen bei der Nominierung, die sich wohl lösen ließen, erschwert die Unwägbarkeit der Wahlentscheidung selbst die Einführung einer Quote. Dass Frauen aufgestellt werden, dafür könne man sorgen, sagt ver.di-Gewerkschafter Lemcke. Aber dafür, dass sie auch gewählt werden, nicht ohne Weiteres. Nach dem Gesetzentwurf der Koalition würde eine Aufsichtsratswahl mit einem geschlechtermäßig „falschen“ Ergebnis ungültig sein und der betreffende Sitz vom Arbeitsgericht besetzt werden. Es liegt nahe, dass dann eine unterlegene Frau derselben Liste den Vorzug bekommen muss. Explizit vorgeschrieben ist das im Gesetzaber nicht.

Ebenso wenig, sagt Lemcke, habe man offenbar an Unternehmen gedacht, in denen mehrere konkurrierende Gewerkschaften aktiv seien. Wie etwa bei Lufthansa, wo derzeit neben ver.di auch die Pilotenvereinigung Cockpit und die Flugbegleiterorganisation UFO jeweils einen Vertreter in den Aufsichtsrat entsenden. Hier ist ein Szenario vorstellbar, mit dem der Frauenförderung nicht eben ein Gefallen getan würde: Würden nämlich drei Frauen die Wahl gewinnen, müsste eine von ihnen für einen Mann zurückstecken. Denn die Quote gilt ausdrücklich für beide Geschlechter. 

Zu viele Frauen im Aufsichtsrat – in den männerdominierten Branchen der IG BCE dürfte ein solches Szenario nicht das Problem sein. Im Gegenteil: Die geforderte Frauenquote stelle die Gewerkschaft vor eine „große Herausforderung“, sagt Edeltraud Glänzer, stellvertretende Vorsitzende der IG BCE – und neben vier Männern die einzige Frau im geschäftsführenden Hauptvorstand. Ihre Gewerkschaft sieht das Gesetz kritisch, weil es demokratische Willensbildungsprozesse außer Kraft zu setzen droht, wenn „unpassende“ Wahlergebnisse für nichtig erklärt werden können. Dennoch: Die IG BCE ist zuversichtlich, die Quote erfüllen zu können. 

„Wir sind zuversichtlich“, sagt Glänzer, „auch deshalb, weil wir in der Vergangenheit sehr intensiv an dem Thema Frauen in Führungspositionen gearbeitet haben.“ So habe die Gewerkschaft im Jahr 2012 eine „Charta der Gleichstellung“ verabschiedet, die mittlerweile von 18 Unternehmen unterzeichnet wurde. „Darin bekennen sich Unternehmen und Betriebsräte dazu, das Thema in den Blick zu nehmen und ganz konkret an der Umsetzung zu arbeiten“, sagt Glänzer. Zu den Unterzeichnern zählt auch Henkel, einer der ganz wenigen börsennotierten Konzerne, in denen die künftige Quotenvorgabe schon jetzt erfüllt ist – auf beiden Bänken.

Intern hat sich die IG BCE das Ziel gesteckt, bis 2020 jeweils 30 Prozent Frauen auf den Führungspositionen, beim politischen Personal und bei den gewerkschaftlichen Aufsichtsratsmandaten zu erreichen. Bei den Gewerkschaftssekretären fehlt nicht mehr viel. Die Aufsichtsratssitze dagegen sind erst zu gut einem Fünftel von Frauen besetzt. Dabei sind die Betriebsräte, die klassische Rekrutierungsbasis für die betrieblichen Aufsichtsratsmitglieder, erstaunlich gut aufgestellt: Seit der letzten Wahl liegt der Frauenanteil hier mit 28,5 Prozent sogar leicht über dem Anteil weiblicher Beschäftigter in den Wirtschaftszweigen der IG BCE.

WEICHERE REGELN FÜR KLEINE UNTERNEHMEN

Die absolute Zahl der Frauen, die aufgrund der festen 30-Prozent-Quote in den Großunternehmen in die Aufsichtsräte einziehen, liegt unter 200. Wichtiger für die Reichweite des Gesetzes sind eher die kleineren Fische. Neben der festen 30-Prozent-Quote für Großkonzerne, bei deren Nichteinhaltung als Sanktion der „leere Stuhl“ droht, sieht das Gesetz für eine weitaus größere Zahl an Unternehmen, rund 3000, eine flexible Quote vor: Firmen, die entweder börsennotiert oder mitbestimmt sind, müssen sich selbst eine Vorgabe für den Frauenanteil in Vorstand, Aufsichtsrat und oberstem Management geben, die sogenannte „Flexi-Quote“. Einzige Bedingung: Der gute Vorsatz darf nicht hinter dem schon erreichten Status quo zurückbleiben. Konsequenzen bei Nichteinhaltung: keine. 

Für die Aufgabe, die Zahl der Managerinnen zu erhöhen, ist natürlich erst einmal der Vorstand verantwortlich. Wirtschaftsrechtler Lasse Pütz sieht aber auch die Betriebs- und Aufsichtsräte in der Pflicht: Damit es nicht bei den schönen Worten bleibt, sollten sie den Finger in die Wunde legen und sich für Frauenförderung im Betrieb starkmachen. „Frauenförderung heißt nicht, Frauen an die Hand zu nehmen und auf einen Posten zu hieven“, sagt Manuela Maschke, Volkswirtin bei der Hans-Böckler-Stiftung, „sondern es geht darum, für Chancengleichheit zu sorgen.“ Wie schwierig das ist, weiß auch Klaus Leger, der Konzernbetriebsratsvorsitzende von Hochtief. „Richtige Strategien hat dazu bei uns noch niemand entwickelt“, sagt er. „Aber vielleicht werden wir jetzt dazu gezwungen – durch die Quote.“

MEHR INFORMATIONEN

 Lasse Pütz/Marion Weckes: GESCHLECHTERQUOTE. Report Nr. 1 der Mitbestimmungsförderung. Düsseldorf 2014. Kostenloser Download unter: 

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