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Magazin Mitbestimmung

Zur Sache: Personalabbau beim Arbeitsschutz

Ausgabe 10/2014

Wolfhard Kohte über fehlendes Personal bei der Arbeitsschutzaufsicht: "Ausreichende Kontrollen sind nicht mehr gewährleistet. Die Zahl festgestellter Verstöße ist in einem Jahrzehnt um zwei Drittel gesunken." 

Die jährlichen Berichte der Bundesregierung zum Arbeitsschutz dokumentieren einen drastischen Personalabbau bei der staatlichen Arbeitsschutzaufsicht. Zwischen 1997 und 2012 ist der Personalbestand bei den Ämtern für Arbeitsschutz und Sicherheitstechnik und den Gewerbeaufsichtsämtern von 4399 auf 3007 gesunken. Das Parlament hat sich damit – abgesehen von einer Anfrage der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vor zwei Jahren – jedoch kaum auseinandergesetzt. Die Bundesregierung erwiderte vorsichtig, dass sie den Abbau „nicht ohne Sorge“ beobachte. Weitere Reaktionen blieben aus. Doch nun kommt Druck aus Europa: Der Sachverständigenausschuss zur Einhaltung der Europäischen Sozialcharta fordert in seinem jüngsten Bericht die Bundesregierung auf, darzulegen, wie der Arbeitsschutz trotz Personalabbau garantiert werden kann. Solange substanzielle Informationen fehlten, könne nicht festgestellt werden, dass die Situation in Deutschland mit Artikel 3 Nr. 2 der Europäischen Sozialcharta in Einklang steht. Dieser verpflichtet die Unterzeichnerstaaten zu Kontrollmaßnahmen, damit Sicherheits- und Gesundheitsvorschriften eingehalten werden. Dass Deutschland gewissermaßen das Testat verweigert, ist ein für unser Land einmaliger Vorgang. 

Es scheint, dass die Politik die Komplexität der hoheitlichen Aufgaben auf diesem Gebiet systematisch unterschätzt. Es liegt auf der Hand, dass Behörden mit so vielfältigen Aufgaben wie dem Arbeitsschutz diesen Aufgaben nur dann gerecht werden können, wenn sie über ausreichend spezialisiertes Personal verfügen. Wer für Gefahrstoffe zuständig ist, kann sich nicht einfach zügig und in gleicher Weise kompetent in die heutigen Anforderungen an die menschengerechte Gestaltung von Schichtarbeitssystemen einarbeiten; und wer im Störfallschutz kompetent ist, wird nicht zugleich im Bereich der Medizintechnik die neuesten Entwicklungen kennen. Dazu kommt, dass die Kontrolle des betrieblichen Arbeitsschutzes in fast allen Bundesländern deutlich zurückgenommen wurde. 

Dabei stellt die staatliche Arbeitsschutzaufsicht die zweite Säule des dualen Systems dar – neben den Unfallversicherungen. Schon jetzt sind ausreichende Kontrollen nicht mehr gewährleistet. Dies gefährdet die Beschäftigten. In Baden-Württemberg, wo man die Arbeitsschutzbehörden nicht nur abgebaut, sondern auch kommunalisiert hat, hat man im gesamten Bundesland für alle Branchen 2011 nur noch 274 Verstöße im sozialen Arbeitsschutz festgestellt. Noch im Jahr 1997 hatten die Aufsichtsbehörden in ganz Deutschland rund 153 000 Verstöße allein im sozialen Arbeitsschutz, vor allem im Arbeitszeitrecht festgestellt. Im Jahr 2012 waren es nur noch rund 52 000 Fälle. Die Verstöße sind also noch viel stärker zurückgegangen als das Personal. Die Erklärung dafür ist, dass der Außendienst überproportional zurückgefahren wurde, im Verhältnis zu den Routinearbeiten, die immer erledigt werden müssen. 

In der Praxis dürften die Verstöße gegen Höchstarbeitszeiten aber eher gestiegen als gefallen sein. Nach einem schweren Bahnunfall konnten die Arbeitsschutzbehörden in Sachsen-Anhalt bei einer Schwerpunktaktion bei den privaten Bahnunternehmen dieses Landes in wenigen Wochen über 500 Verstöße gegen die Einhaltung der Höchstarbeitszeiten – zehn Stunden pro Tag – feststellen. 

Am 14. Januar 2014 hat nun das Europäische Parlament wirksame Kontrollen am Arbeitsplatz als Strategie zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen in der EU beschlossen. Es verlangt effektive Kontrollen und kritisiert den Personalabbau der Aufsicht in verschiedenen Staaten. Von daher ist dringend geboten, dass die Frage nach der Quantität und Qualität der Aufsicht in jedem einzelnen Bundesland – und damit auch in jedem Landtag – erörtert und geklärt wird. Arbeitsschutz ist in Deutschland Ländersache, wobei der gesetzliche Rahmen auf Bundesebene festgelegt wird. Auch hier sind Änderungen nötig, so müsste in Übereinstimmung mit § 18 SGB VII auch im Arbeitsschutzgesetz in § 21 Abs. 1 als Satz 3 eingefügt werden: „Die Arbeitsschutzbehörden sind verpflichtet, in der für eine wirksame Überwachung und Beratung erforderlichen Zahl Personal zu beschäftigen.“ Außerdem müssten die beschlossenen weiteren Personalabbaumaßnahmen suspendiert werden, um den Weg für eine realistische Personalplanung frei zu machen. In der Zwischenzeit ist es erforderlich, am Beispiel schwerer Unfälle medial sichtbar zu machen, welche Konsequenzen dieser Personalabbau hat.

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