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Magazin Mitbestimmung

Werkverträge: Recherchen auf der Hütte

Ausgabe 09/2014

Welche Hebel gibt es, um Werkvertragsarbeit fairer zu machen? Betriebsräte und Arbeitsdirektoren aus der Stahlindustrie arbeiten an kreativen Lösungen – dank Montanmitbestimmung und unterstützt von dem Stahltarifvertrag in NRW. Von Carmen Molitor

Ein Schaubild sagt manchmal mehr als tausend Worte. Beim Stahlproduzenten ArcelorMittal Bremen GmbH machte der Betriebsrat dem Arbeitgeber mit einem eindrucksvollen Säulendiagramm deutlich: Mitarbeiter von Fremdfirmen arbeiten nicht selten bis zu zehn, teilweise sogar zwölf Stunden und mehr auf der Hütte in Bremen. Der Betriebsrat nahm das Werkstor ins Visier und wertete die täglich erfassten Ein- und Ausgangszeiten der Arbeiter detailliert aus. Die nackten Zahlen zeigten, dass Werkvertragsarbeiter die gesetzlichen Arbeitszeiten regelmäßig deutlich überschritten. Ein Skandal und eine Gefährdung für die Arbeitssicherheit aller Menschen im Werk, fanden die Betriebsräte, als sie die Ergebnisse 2012 auf einer Betriebsversammlung präsentierten. 

„Nehmen wir den September 2012“, sagt Betriebsratsvorsitzender Klaus Hering und deutet auf die größte Säule des Schaubildes. „Da lag die Quote derjenigen Mitarbeiter der Fremdfirmen, die über zehn Stunden Arbeitszeit auf dem Papier hatten, bei 11,5 Prozent. Bei unserer Stammbelegschaft waren es gerade mal 0,4 Prozent.“ Der Arbeitgeber habe die Zahlen zunächst in Zweifel gezogen, erinnert sich der Betriebsratsvorsitzende. Doch die Fakten waren solide recherchiert. 

Was den Betriebsrat bewegte? Er wollte nicht tatenlos zusehen, wie die tariflich abgesicherten Stammarbeitsplätze durch zunehmendes Outsourcing an Fremdfirmen verdrängt werden. „Es heißt ja immer, dass die externen Firmen billiger arbeiten als wir“, erläutert Klaus Hering. „Wir wollten wissen, wie fair ein solcher Vergleich eigentlich ist.“ Und die Debatte um Werkverträge nahm damit noch mal Schub auf. Inzwischen steht eine Konzernbetriebsvereinbarung kurz vor dem Abschluss, in der die ArcelorMittal Bremen GmbH (AMB) und ihre Tochterfirma in Bottrop verbindliche Verhaltens- und Sozialstandards für die Zusammenarbeit mit Fremdfirmen festlegen.

ÄRGER ÜBER FEHLENDE MITBESTIMMUNG

Bei der ArcelorMittal-Konzerntochter in Hamburg fühlte sich der Betriebsrat zur Untätigkeit verdammt. „Mich hat geärgert, dass wir keine Chance hatten, bei Werkverträgen richtig mitzubestimmen“, sagt Betriebsratsvorsitzender Lars Challier. Alle Betriebsräte taten sich zusammen und recherchierten, wo genau Werkvertragsarbeit im Unternehmen angesiedelt ist. „Wir haben hinterfragt, was ein ‚normaler‘ Werkvertrag ist und welche Werkverträge gefährlich sind, weil sie in die Produktion eingreifen und Arbeitsplätze kosten könnten“, berichtet Challier. 

Zweiter Schritt: Der Betriebsrat fordert im Wirtschaftsausschuss Einsicht in die Verträge. „Der Betriebsrat hat ja kein Mitbestimmungs-, sondern nur ein Einsichtsrecht bei Werkverträgen“, sagt Challier. Die Hamburger nutzen es für einen kritischen Blick darauf, ob hinter einem angeblichen Werkvertrag in Wahrheit verdeckte Leiharbeit steckt – was ein Unternehmen hohe Strafen kosten kann. „Sobald die Tätigkeit in die Produktlinie eingreift, wenn dort die Kollegen von Werkvertragsfirmen mit unseren Kollegen aus der Stammbelegschaft Hand in Hand arbeiten, dann ist das verdeckte Leiharbeit. Und die ist nicht erlaubt!“, sagt der gewählte Arbeitnehmervertreter. 

Mittlerweile kontrolliert der Betriebsrat regelmäßig, ob die Arbeitszeiten bei den Werkvertragsfirmen überschritten werden und macht Begehungen, um die Arbeitssicherheit zu prüfen. Wenn ihm Verstöße auffallen, schlägt Lars Challier aber erst den kleinen Dienstweg ein. „Ich gehe rüber zum Vorarbeiter der Fremdfirma und sage: Passt mal auf, euer Kollege arbeitet hier schon zehn Tage am Stück, jetzt ist mal Schicht im Schacht.“ Wenn das nichts nutzt, beschwert der Betriebsratsvorsitzende sich offiziell bei der Personalabteilung des Hamburger Stahlkochers oder auch seinem Geschäftsführer. Durchaus mit Folgen: Eine Firma musste sich daraufhin schon von der Hütte verabschieden.

In Duisburg arbeiten Betriebsräte und Arbeitsdirektor gemeinsam an Regeln für faire Werkvertragsarbeit: Auf dem Werksgelände der ThyssenKrupp Steel Europe AG (TKSE) hat der Betriebsrat eigens einen fünfköpfigen Fachausschuss „Eigen/Fremd“ eingerichtet, um die Werkvertragsfirmen im Blick zu haben. Auch dort wird kritisch auf Arbeitszeiten und Arbeitssicherheit geschaut, und systematisch werden Informationen über die Fremdfirmen gesammelt. Der Ausschuss hinterfragt, ob Werkverträge missbräuchlich genutzt werden und erfährt vom Arbeitgeber regelmäßig, welche Fremdleistungen das Unternehmen aktuell einkauft. 

DEN KONTAKT ZU DEN DIENSTLEISTERN AUFBAUEN

Betriebsrat und Vertrauenskörperleiter Wilfried Müller hat als Leiter des Ausschusses schon von krassen ausbeuterischen Bedingungen bei Fremdfirmen erfahren. „Manche Beschäftigte sind beschimpft, beleidigt, erpresst und genötigt worden, manche mussten bis zu 15 Stunden am Tag arbeiten“, erzählt er. „Um von solchen Missständen zu erfahren, müssen Bereichsbetriebsräte und vor allem Vertrauensleute den Kontakt zu den Firmen aufbauen.“ Der Betriebsrat beschwerte sich über so ein schwarzes Schaf auf der Hütte bei Arbeitsdirektor Thomas Schlenz. „Diese Firma gibt es bei uns nicht mehr“, sagt Müller zufrieden. 

Unsaubere Arbeitsbedingungen bei Werkvertragsfirmen zu entdecken ist auch für Schlenz ein wichtiges Anliegen. „Wir wollen faire Arbeit für alle“, betont er. Schlenz sucht den engen Schulterschluss mit dem TKSE-Betriebsrat, um schnell von Missständen zu erfahren und sie rigoros abstellen zu können. „Wir haben die Entschlossenheit, eine Firma auch aus dem Werk zu verweisen“, sagt Schlenz. ThyssenKrupp Steel hat einen Verhaltenskodex, der Verstöße gegen Recht und Gesetz – auch gegen das Betriebsverfassungsgesetz – nicht duldet. Zurzeit feilt Schlenz an einer neuen „Baustellenordnung“ und an einem Konzept für ein Nachunternehmermanagement, das interne Kriterien für die Bewertung von Fremdfirmen festlegt und dafür sorgen soll, dass die TKSE-Führungskräfte besser in der rechtlichen Bewertung von Werkverträgen geschult werden. „Wir wollen ein guter Arbeitgeber sein“, sagt Schlenz. „Das ist nach innen sowieso klar, aber auch unsere Partnerunternehmen sollen das wissen.“

Ein Weg, Missstände bei Fremdfirmen nachhaltig abzubauen, ist es, den Mitarbeitern dabei zu helfen, eigene Mitbestimmungsstrukturen aufzubauen. So geschehen bei der Deutschen Edelstahlwerke GmbH (DEW) in Siegen. Als die Beschäftigten des Dienstleisters Horn & Co., der seit Jahrzehnten auf der DEW-Hütte tätig ist, erstmals mit Unterstützung der IG-Metall-Verwaltungsstelle einen Betriebsrat wählten, informierten der DEW-Betriebsratsvorsitzende Roland Schmidt und Vertrauenskörperleiter Jürgen Mockenhaupt auf einer Klausurtagung die Horn-&-Co.-Betriebsräte intensiv über die nötigen ersten Schritten im neuen Amt und warben um die Mitgliedschaft in der IG Metall. „Wir haben einen Tarifvertrag mitgebracht und gesagt, so ist es bei uns, und so kann es auch bei euch werden“, sagt Mockenhaupt. 

Als der Geschäftsführer von Horn & Co. die Betriebsratswahl wegen eines Formfehlers anfechten wollte, schaltete sich Roland Schmidt ein. „Ich habe ihm klargemacht, dass wir ein montanmitbestimmtes Unternehmen sind“, berichtet er. „Jemanden auf dem Betriebsgelände zu haben, der einen von der Belegschaft gewünschten Betriebsrat verhindert – das geht gar nicht!“ Die Worte des Betriebsratsvorsitzenden zeigten Wirkung: Der Geschäftsführer zog die Klage zurück. 

MEHR INFORMATIONEN

Hans-Böckler-Stiftung/IG Metall, Zweigbüro Düsseldorf (Hrsg.): Werkvertragsarbeit fair gestalten. Mit Tipps zur guten Praxis für Betriebsräte und Arbeitsdirektoren. 2014. 55 Seiten. 

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