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Magazin Mitbestimmung

Interview: „Das sind Protestwähler, und keine Rechtsextremen“

Ausgabe 07+08/2014

Warum wählen in Frankreich 43 Prozent der Arbeiter den rechten Front National, fragen wir Frankreichkenner Udo Rehfeldt, der am IRES forscht, einem gewerkschaftsnahen Institut nahe Paris. Die Fragen stellte Eric Bonse.

Herr Rehfeldt, wie ist die Stimmung in Frankreich nach der Europawahl?

Sie war schon vor der Wahl deprimierend, doch nun hat sich die Depression noch verstärkt. Die Franzosen haben das Vertrauen in Präsident François Hollande verloren. Er hat die mit seiner Wahl vor zwei Jahren verbundenen hohen Erwartungen nicht erfüllt, seine Beliebtheitswerte sind unter 20 Prozent gefallen. Das gab es noch nie.

Der große Wahlsieger ist der rechtsextreme Front National. Wie ist das zu erklären?

Die Verluste von Hollandes Sozialisten waren erwartet worden. Die rechtsbürgerliche Oppositionspartei UMP von Ex-Präsident Sarkozy wird von einem Korruptionsskandal erschüttert. Insofern lief alles auf den Front National (FN) zu. Allerdings markiert die Europawahl keinen Höchststand für den FN, jedenfalls nicht in absoluten Zahlen. Bei der Präsidentschaftswahl 2012 kam er auf 6,4 Millionen Wählerstimmen, 2002 bereits auf 4,8 Millionen. Diesmal stimmten 4,7 Millionen Franzosen für den Front National.

Unter den FN-Wählern sind auch viele Arbeitnehmer und Arbeitslose. Ist der Front National Frankreichs neue Arbeiterpartei?

Das ist nicht erst seit dieser Wahl so. Nach Umfragen­ wählen 43 Prozent der Arbeiter den FN. Er hat damit die einstigen Arbeiterparteien – die Kommunisten und die Gaullisten – verdrängt. Allerdings ist das nicht tragisch, weil es ohnehin kaum noch Arbeiter in Frankreich gibt. Der Industriesektor macht nur noch rund zehn Prozent der Wirtschaftsleistung aus. 

Was ist mit den Sozialisten?

Die Sozialistische Partei war noch nie eine Arbeiterpartei! Sie wird traditionell von Lehrern und anderen Staatsbediensteten gewählt, nur acht Prozent der Arbeitnehmer stimmten diesmal für die Sozialisten.

Das lässt nichts Gutes für das Wahlverhalten der Gewerkschafter ahnen …

Ja, aber dazu gibt es keine genauen Zahlen. Da nur acht Prozent der französischen Arbeitnehmer gewerkschaftlich organisiert sind, sind die Umfragen nicht repräsentativ. Man fragt zwar nach dem Wahlverhalten von Sympathisanten der Gewerkschaften – und stellt fest, dass es auch darunter viele FN-Wähler gibt, ja dass ihre Zahl sogar gestiegen ist. Aber wirklich aussagekräftige Zahlen gibt es nicht. Dazu müsste man nach den Gewerkschaftsmitgliedern fragen. Übrigens wollen die meisten aktiven Gewerkschafter mit dem Front National nichts zu tun haben.

Stimmen die denn wenigstens noch für Hollande und seine Sozialisten?

Bei den Präsidentschaftswahlen rief nur die einst kommunistische CGT dazu auf, Hollande zu wählen. Diesmal rief keine Gewerkschaft auf, die Sozialisten zu wählen. Uneingeschränkte Unterstützung findet Hollande nur noch bei der CFDT. Die meisten anderen Gewerkschaften sind in der Opposition.

Was sind denn die Gründe für diesen unheimlichen Erfolg der extremen Rechten?

Es geht vor allem um Protest – gegen die Einwanderung, gegen Probleme der inneren Sicherheit und gegen die Arbeitslosigkeit. 70 Prozent der FN-Wähler sagen, dass sie aus Opposition gegen die Regierung rechts wählen. Das sind also keine Überzeugungstäter oder Rechtsextreme …

… so wie FN-Gründer Jean-Marie Le Pen?

Der hat ja gerade wieder mit antisemitischen Äußerungen Wirbel gemacht. Ja, aber die aktuelle FN-Präsidentin, Le Pens Tochter Marine, hat sich gegen ihn gestellt. Und sie ist dabei sogar glaubwürdig. Denn der Antisemitismus ist aus der Mode gekommen, heute zieht vor allem der Anti-Islamismus, und da macht Marine Le Pen fleißig mit! Aber auch die bürgerliche Rechte und Premierminister Manuel Valls machen Stimmung gegen „Zigeuner“. Die anderen Parteien haben längst Teile des FN-Programms übernommen!

Wie geht es denn nun weiter in Frankreich? Übernehmen die Rechten die Macht, drohen soziale Unruhen?

Nein, bisher gibt es nur sektorelle Streiks, etwa bei der Eisenbahn und bei den Fluglotsen. Die oppositionellen Gewerkschaften können nicht mobilisieren, außer im öffentlichen Sektor. Nehmen Sie Force Ouvrière: Sie will den Generalstreik – und bekommt es nicht hin! Alle Gewerkschaften haben Schwierigkeiten, ihre Klientel zu mobilisieren, es herrscht eine allgemeine Resignation. Wenn es so weitergeht, könnten die Sozialisten bei den nächsten Präsidentschaftswahlen wie jetzt auf den dritten Platz kommen – und der Front National auf Platz eins.

Tritt Frankreich dann aus der EU aus? War die Europawahl ein Votum gegen Europa?

Nein, das spielte nur eine untergeordnete Rolle. Selbst FN-Wählern war die EU nach eigenen Angaben nicht so wichtig bei ihrer Wahlentscheidung. Sieht man von der extremen Rechten ab, so ist die Mehrheit der Franzosen noch immer proeuropäisch. Allerdings sagt die Mehrheit auch, dass die EU während der Krise nicht hilfreich war. Sie finden Brüssel nicht per se schlecht, möchten aber die nationalen Kompetenzen stärken. 

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