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Magazin Mitbestimmung

Zur Sache: Die Kunst des Gänsefüßchens

Ausgabe 05/2014

Eine Gruppe Promovierender mischt sich mit den Essener Thesen in die Diskussion um Plagiate in der Wissenschaft ein. Was sie umtreibt, erläutert HBS-Stipendiat Frederic Hanusch

Was macht eigentlich Karl Theodor zu Guttenberg? Er, der zeitgenössische Felix Krull, hatte seine Doktorarbeit zum beträchtlichen Teil von anderen abgeschrieben, wie der Jurist Andreas Fischer-Lescano aufdeckte, und bestimmte mit ein paar anderen Namen die Debatte im Zuge der Plagiatsaufdeckungen der vergangenen Jahre. 

Dass es sich bei den Kühen, die durchs Dorf getrieben werden, meist um Berufspolitiker handelt, fällt ins Auge. Dabei könnte es sich um gezielte Aktionen handeln, um dem politischen Gegner zu schaden. Hierfür spricht, dass nicht alle Anschuldigungen zur Aberkennung des Doktorgrades geführt haben. Im politischen Milieu soll der Doktorgrad oft außerwissenschaftlichen Reputationsgewinnen dienen. Die Motivation, eine Doktorarbeit zu verfassen, fußt dann nicht vornehmlich auf wissenschaftlichen Ambitionen, sondern ist Mittel zum Zweck, was offenbar die Plagiatswahrscheinlichkeit erhöht.

Sollte die Bedeutung eines akademischen Grades für die außerwissenschaftliche Welt in Deutschland stärker diskutiert werden? Ein Vorbild könnte der angloamerikanische Raum sein, in dem die Möglichkeit, den Doktor als Namenszusatz zu führen, nicht existiert. Eine erste (symbolische) Maßnahme wäre es, die Eintragung des Doktorgrades im Personalausweis abzuschaffen. 

Darüber hinaus scheint es an der Zeit, die öffentliche Debatte wieder zu erden und jene Zehntausende Doktoranden in den Mittelpunkt zu rücken, die mit den Folgen der Plagiatsaufdeckungen umgehen müssen. Denn für eine Vielzahl gewissenhaft arbeitender Nachwuchswissenschaftler ist der Umgang mit jenen Gänsefüßchen, mit denen die Zitate anderer Wissenschaftler gekennzeichnet werden, zu einer Quelle höchster Verunsicherung geworden. Selbstverständlich finden wir Promovierende, dass Plagiate schlimm sind. Sie beschädigen die Plagiierten und das Wissenschaftssystem. Plagiate bedienen sich substanziell fremder wissenschaftlicher oder künstlerischer Erkenntnisse, Daten oder Schlussfolgerungen, ohne die Autorenschaft oder den Gesamteinfluss in angemessener Weise durch Zitation oder Würdigung auszuweisen.

Wir, eine Gruppe Promovierender am Kulturwissenschaftlichen Institut (KWI) Essen, haben kürzlich auf einem Workshop die Folgen von Plagiatsaufdeckungen diskutiert. Viele von uns prüfen mittlerweile jedes Zitat ein zweites und drittes Mal nach, weil vielleicht etwas falsch wiedergegeben oder ein Gänsefüßchen falsch gesetzt wurde. Letztlich wird immer mehr Zeit in die korrekte Zitation einer Fußnote investiert und immer weniger in die Ausarbeitung des originellen Gehalts und Mehrwerts der Doktorarbeit. 

Entstanden sind aus dem Workshop die „Essener Thesen“. Wir machen praxisnahe Vorschläge für einen wünschenswerten Umgang mit Zitation und Plagiarismus und wollen zur öffentlichen Diskussion anregen, welche Lehren aus den (tatsächlichen und vermeintlichen) Plagiatsaufdeckungen der vergangenen Jahre zu ziehen sind. Die Essener Thesen legen ein Wissenschaftsverständnis an, das Wissensproduktion als kollektive Arbeit und kollektives Gut ansieht. Promovierende arbeiten hierbei eigenverantwortlich und stehen zugleich, wie alle Wissenschaftler, „auf den Schultern von Riesen“.

Wir finden, dass Problemstellung und Originalität den Wert einer Promotion bestimmen und dass die Akkuratesse von Zitaten diesem Zweck dienen soll. Wir meinen, dass die Qualifizierung zu eigenständigem Forschen durch begleitende Betreuung verstärkt und gefördert werden soll. Denn eine originelle Fragestellung schränkt die Möglichkeit, zu plagiieren, massiv ein. Der Anreiz, eine Promotion anzufertigen, sollte zudem aus wissenschaftlichem Interesse erfolgen. Promotionen ohne wissenschaftliches Interesse erhöhen erfahrungsgemäß die Plagiatswahrscheinlichkeit.

Die Überprüfung von Promotionen muss wieder dort ihren Platz finden, wo sie hingehört: in der Wissenschaft. Andernfalls ist es ein leichtes Spiel, Plagiatsverdachte an die Presse zu geben. Es sollte die Einrichtung einer zentralen Anlaufstelle für (vertraulich zu handhabende) Plagiatsverdachte an den Universitäten geprüft werden. Solch ein Ombudswesen sollte einen geschützten Raum für den Plagiatsverdacht bieten. Einen möglichen Rufmord gilt es zu vermeiden. Quantitative Verfahren durch Plagiatssoftware sind kein geeignetes Mittel der Kontrolle von Dissertationen. Eine qualitative Überprüfung und Bewertung ist unumgänglich. Dissertationen müssen gelesen werden.

Mehr Informationen

Die Essener Thesen können hier nachgelesen und mitunterzeichnet werden. Sie wurden in einem Workshop am KWI erarbeitet, der vom Referat Promotionsförderung der Hans-Böckler-Stiftung unterstützt wurde. 

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