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HBS Böckler Impuls

Bildung: Getrennt lernen schadet

Ausgabe 20/2013

Wenn Kinder frühzeitig auf verschiedene Schulformen aufgeteilt werden, schadet das ihren Fähigkeiten – und der Chancengleichheit.

Schulreformen stehen seit dem PISA-Schock regelmäßig auf der landespolitischen Tagesordnung – doch manche gehen in die falsche Richtung. Bis zum Jahr 2000 wurden in Bayern Haupt- und Realschüler bis zum Ende der sechsten Klasse gemeinsam unterrichtet, seither findet die Aufteilung bereits nach der vierjährigen Grundschule statt. Der Ökonom Marc Piopiunik vom Münchner ifo Institut hat die Auswirkungen dieser Reform empirisch untersucht. Seine Analyse zeigt, dass die Umstellung die Leistungen sowohl der Hauptschüler als auch der Realschüler beeinträchtigt hat.

Aus theoretischer Sicht, so Piopiunik, könne die bayerische Schulreform Vor- und Nachteile haben. Einerseits entstünden durch die Aufteilung auf verschiedene Schultypen homogenere Gruppen, auf deren Bedürfnisse Lehrer gezielt eingehen können. Insofern wären Leistungsverbesserungen zu erwarten. Andererseits erhöhe die frühzeitige Zuordnung von Kindern die Gefahr von Fehleinschätzungen. Dadurch dürfte die Chancengleichheit leiden, da die Empfehlung für eine Schulform erfahrungsgemäß stark mit dem sozioökonomischen Status zusammenhängt. Zudem hätten leistungsschwache Schüler weniger Gelegenheit, vom gemeinsamen Lernen mit Stärkeren zu profitieren. Diesen wiederum entgehe die Gelegenheit, ihr Wissen den weniger erfolgreichen Mitschülern zu erklären und so zu vertiefen.

Um festzustellen, welche Effekte überwiegen, hat der Forscher PISA-Daten aus den Jahren 2000, 2003 und 2006 zu den Fähigkeiten von Neuntklässlern in den Bereichen Lesen, Mathematik und Naturwissenschaften ausgewertet. Die Jahre 2000 und 2003 betrachtet er als Vor-Reform-Periode, da die bayerischen Haupt- und Realschüler in diesem Zeitraum mehrheitlich noch gemeinsam lernten. Im Jahr 2006 galt dagegen bereits für drei Viertel das neue System. Als Kontrollgruppe dienen zum einen die Gymnasiasten in Bayern, die zwar von der allgemeinen Entwicklung in diesem Bundesland, aber nicht von der Schulreform betroffen waren. Zum anderen fungieren die Testergebnisse von Haupt- und Realschülern aus anderen Teilen Deutschlands als Vergleichsgröße.

Schon der bloße Augenschein lässt dem Wirtschaftswissenschaftler zufolge den schädlichen Effekt der Schulreform erkennen: Betrachtet man die Leseleistung von Gymnasiasten, zeigt sich in Bayern und den anderen Bundesländern über den gesamten Untersuchungszeitraum eine ähnliche Entwicklung. Bei den Haupt- und Realschülern dagegen verlaufen die Leistungskurven nur bis zur Reform parallel. Danach ist ein deutlicher Knick nach unten erkennbar – und zwar nur bei den Bayern. Anders als im Rest der Republik hat der Anteil der besonders schwachen Schüler im Freistaat stark zugenommen, der Anteil derjenigen, die das höchste Kompetenzniveau im PISA-Test erreichen, ist dagegen merklich zurückgegangen. Wenn die Leistungsentwicklung der bayerischen Haupt- und Realschüler und die der Kontrollgruppen miteinander verrechnet werden, ergibt sich als durchschnittlicher Effekt der Reform ein Minus von zehn PISA-Punkten. Das entspricht nach Piopiuniks Analyse ungefähr dem, was Schüler in einem halben Schuljahr lernen. Auch die Streuung der Testergebnisse hat um fünf Punkte zugenommen, was der Autor als Hinweis auf abnehmende Chancengleichheit deutet.

Wenn die Auswertung für Haupt- und Realschüler getrennt durchgeführt wird, zeigt sich bei beiden Gruppen ein ähnlicher Effekt auf die Leistungsfähigkeit. Auch Realschülern hat die Reform demnach das Lernen erschwert. Eine mögliche Erklärung: Umstellungsprobleme und unerfahrene Lehrer könnten die Testergebnisse beeinträchtigt haben. Andererseits, so Piopiunik, deuteten Berechnungen mit Daten der Kultusministerkonferenz von 2009 darauf hin, dass die frühzeitige Aufteilung der bayerischen Schüler auch langfristig negative Auswirkungen auf ihre Fähigkeiten hat.

  • Solange bayrische Haupt- und Realschüler in der fünften und sechsten Klasse gemeinsam lernten, schnitten sie besser bei Pisa ab. Zur Grafik

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