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HBS Böckler Impuls

Kommunen: Wege aus der Finanznot

Ausgabe 17/2013

Die deutschen Städte und Gemeinden brauchen schnelle Hilfe bei der Instandhaltung ihrer Infrastruktur. Dies ließe sich über ein von Bund und Ländern finanziertes kommunales Investitionsprogramm bewerkstelligen.

Auch wenn die Zahlen sich ein wenig unterscheiden – die Stoßrichtung ist dieselbe: Deutschlands Kommunen leiden unter einem enormen Investitionsrückstand. So beziffert das Deutsche Institut für Urbanistik (DIFU) den kommunalen Investitionsbedarf zwischen 2006 und 2020 auf 47 Milliarden Euro jährlich. Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung sieht eine besonders große Baustelle bei der gesamten kommunalen Infrastruktur, also Straßen und dem öffentlichen Personennahverkehr. Und die Kommunen selbst schätzen ihren Investitionsrückstand auf 128 Milliarden Euro bis zum Jahr 2012 – davon 26 Prozent bei der Verkehrsinfrastruktur und 17 Prozent bei den Schulen.

„Die Konjunkturpakete des Jahres 2009, die schwerpunktmäßig dem Aufbau kommunaler Infrastruktur zugutekommen sollten, haben zwar zu erhöhten Investitionen geführt, den Investitionsrückstau aber nicht deutlich gemindert“, stellen IMK-Forscher Fabian Lindner, Erik Klär vom Bundesarbeitsministerium und Kenan Šehovic vom Thüringer Wirtschaftsministerium fest. Sie haben im Auftrag der Friedrich-Ebert-Stiftung (FES) einen Plan entworfen, wie sich die künftige Wirtschaftspolitik nachhaltig gestalten lässt – in Anlehnung an den Endbericht der Enquete-Kommission „Wachstum, Wohlstand, Lebensqualität“. Die Studie ist Teil eines gemeinsamen Projekts von IMK, FES und Denkwerk Demokratie.

Die Konjunkturpakete zur Bekämpfung der Wirtschaftskrise haben sich in einer leichten Steigerung der kommunalen Investitionen im Jahr 2010 bemerkbar gemacht, zeigen die Wissenschaftler auf: Investierten Städte und Gemeinden 2009 noch 21,6 Milliarden Euro, waren es im Jahr darauf 24,1 Milliarden Euro. Da die Mittel aus den Konjunkturpaketen 2011 ausgelaufen sind, haben die kommunalen Investitionen wieder deutlich abgenommen – um zehn Prozent.

Die Forscher gehen davon aus, dass der jährliche Investitionsbedarf bei 25 Milliarden Euro liegt. Als Grundlage nehmen sie die vom DIFU ermittelte Summe von 47 Milliarden Euro pro Jahr und ziehen davon die Investitionen kommunaler Unternehmen ab. Denn diese werden nicht als staatliche Investitionen erfasst. Im Jahr 2003 wurden die öffentlichen Nettoinvestitionen das erste Mal negativ. Bei Abzug des seitdem Investitierten vom angenommenen Bedarf ergibt sich bis 2012 eine Lücke von 52 Milliarden Euro – etwas weniger als die Hälfte des von den Kommunen angegebenen Investitionsstaus. Der Rest dürfte auf den Bedarf der kommunalen Unternehmen entfallen, nehmen die Wissenschaftler an.

Allein um den laufenden Bedarf zu decken, müssten die kommunalen Investitionen in Straßen, Schulen und Kindergärten jährlich um ein Drittel steigen, von knapp 19 Milliarden Euro im Jahr 2011 auf 25 Milliarden Euro. „Damit wäre allerdings der mittlerweile hohe Ersatzbedarf von 52 Milliarden Euro noch nicht gedeckt“, stellen die Wissenschaftler fest. Insgesamt sollten sich nach ihren Berechnungen die kommunalen Investitionen in der nächsten Legislaturperiode mehr als verdoppeln: von derzeit 0,75 Prozent der jährlichen Wirtschaftsleistung auf 1,6 Prozent. Was recht unspektakulär klingt, ist nach Analyse der Forscher ein zentraler erster Schritt, um einen gefährlichen Trend zu stoppen: „Der öffentliche Kapitalstock verfällt zunehmend.“ Und angesichts der komplizierten Finanzbeziehungen zwischen Bund, Ländern und Kommunen sowie der Schuldenbremse sehen die Wissenschaftler darin einen Kraftakt.

Städte und Gemeinden haben schließlich kaum Möglichkeiten, ihre Einnahmen selbst zu bestimmen. „Zentral sind deswegen auch für die Ausstattung der Kommunen die gesamtstaatlichen Steuereinnahmen und Ausgaben, die mittelbar über die verfügbaren Finanzmittel der Länder und des Bundes auch die Höhe der Zuweisungen für die Kommunen bestimmen“, so die Autoren. Besonders die Beseitigung des bisherigen Investitionsstaus ließe sich ähnlich dem „Zukunftsinvestitionsgesetz“ aus dem zweiten Konjunkturpaket über direkte Finanzhilfen des Bundes finanzieren.

Darüber hinaus empfehlen Klär, Lindner und Šehovic, Städte und Gemeinden stärker von Sozialausgaben zu entlasten: „Dabei sind zwar schon erste Schritte bei der Grundsicherung im Alter und der Erwerbsminderung getan, aber auch die Kosten der Unterkunft beim ALG II, die Eingliederungshilfen für Behinderte, der Ausbau der Kinderbetreuung und der Ganztagsschulen oder der Inklusion müssten verstärkt vom Bund übernommen werden.“

Die momentane staatliche Finanzausstattung werde allerdings nicht ausreichen, um die öffentlichen Investitionen im notwendigen Ausmaß zu erhöhen, ohne dabei andere Ausgaben stark zu kürzen. Die vom Bundesfinanzministerium und manchen Wirtschaftsforschern für die kommenden Jahre prognostizierten zusätzlichen Steuereinnahmen halten die Experten für zu gering und zu unsicher: Die konjunkturellen Risiken seien so groß, dass sie „heutige Projektionen zum strukturellen Defizit und damit zum staatlichen Finanzierungsspielraum schnell zur Makulatur werden lassen könnten“. Aufgrund der Anforderungen der Schuldenbremse seien daher höhere Steuereinnahmen nahezu unumgänglich. Die Wissenschaftler empfehlen höhere Steuern auf Erbschaften, Schenkungen und Vermögen. Diese seien in Deutschland im internationalen Vergleich besonders gering und würden bereits bei einer moderaten Erhöhung beträchtliche Mehreinnahmen bringen.

  • Allein um den laufenden Bedarf zu decken, müssten die kommunalen Investitionen in Straßen, Schulen und Kindergärten jährlich um ein Drittel steigen. Zur Grafik

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