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Magazin Mitbestimmung

Betriebsalltag: Unter Kollegen

Ausgabe 07+08/2013

Gleichbehandlung, aktives und passives Wahlrecht für alle: Das Betriebsverfassungsgesetz gibt klare Regeln im Umgang mit Beschäftigten ausländischer Herkunft vor. Es ist damit ein wichtiger Motor der Integration, auch wenn der manchmal stottert. Von Carmen Molitor

Am Anfang stand eine unangenehme Frage: Werden bei den Hüttenwerken Krupp Mannesmann (HKM) Beschäftigte mit Migrationshintergrund, Frauen, Schwerbehinderte und ältere Beschäftigte bei Beförderungen regelmäßig übergangen? „Es gab hier immer so ein Gefühl der Ungleichbehandlung“, erinnert sich Mirze Edis, einer von drei Kollegen mit Migrationshintergrund im 23-köpfigen HKM-Betriebsrat. Handfeste Fakten aber, ob eine Diskriminierung vorlag oder nicht, fehlten. Nicht einmal der genaue Anteil von Migranten unter den rund 3000 Beschäftigten in Duisburg war bei HKM bekannt. Abhilfe schaffte ein Gleichstellungsbericht des Forschungsinstituts INFIS, dessen Erstellung Betriebsrat und Personalleitung im neu gegründeten Ausschuss für Migration, Integration und Gleichstellung beschlossen hatten. Beide Seiten haben jetzt schwarz auf weiß: Der Anteil der Migrantinnen und Migranten liegt fast doppelt so hoch wie zuvor angenommen. Und: je höher die Position, desto geringer der Anteil an Migranten und Frauen. Während in der Produktion oft Beschäftigte mit ausländischen Wurzeln in leitenden Positionen zu finden sind, muss man sie in Angestelltenbereichen noch suchen. „Ich hätte gedacht, wir stehen noch schlechter da“, gibt Mirze Edis freimütig zu. Die erhobenen Daten bilden eine gute Basis für eine gerechtere Weichenstellung in der Personalpolitik, glaubt er. Im Herbst 2014 soll eine neue Erhebung zeigen, ob die Sensibilisierung von Ausschüssen und Verantwortlichen dazu geführt hat, dass mehr Leitungsposten als bisher ausgewogen besetzt werden.

PRAGMATISCHE ZUSAMMENARBEIT

Für den Mikrokosmos Firma hat die Novelle des Betriebsverfassungsgesetzes von 1972 unmissverständliche Regeln vorgegeben: In Unternehmen darf niemand wegen seiner Nationalität und Abstammung benachteiligt werden, schreibt das Gesetz Arbeitgebern und Betriebsräten ins Stammbuch. Die Arbeitnehmervertreter sollen die Integration von ausländischen Beschäftigten und das „Verständnis zwischen ihnen und den deutschen Arbeitnehmern“ fördern und sich gegen Rassismus und Fremdenfeindlichkeit engagieren.

Die Regeln für die Betriebe sind also klar, aber die Proletarier aller Länder gleichberechtigt zu vereinigen, wenn auch nur für acht Stunden am Tag, ist nicht einfach. Wenn man Werner Schmidt vom Forschungsinstitut Arbeit, Technik und Kultur in Tübingen folgt, taugt ein Unternehmen mit Beschäftigten deutscher und ausländischer Herkunft nicht als gesellschaftlicher Schmelztiegel, obwohl die Beschäftigten sich durchaus darum bemühen, gute Kollegen zu sein.

Mitbestimmung und Tarifverträge erfüllen für die betriebliche Sozialintegration eine ganz wichtige Funktion, sagt Schmidt. Er analysierte in einer Fallstudie für die Hans-Böckler-Stiftung die Beziehung von Beschäftigten deutscher und ausländischer Herkunft in zwei Betrieben der Metall- und Elektroindustrie und in einem Betrieb der chemischen Industrie. Sein Fazit: Die Beschäftigten praktizieren eine „pragmatische Kooperation“. „Der Großteil ist weder strikt feindselig noch besonders freundlich“, berichtet Schmidt. Die Beschäftigten kooperierten im erforderlichen Maße, um die gemeinsame Aufgabe zu lösen, und wollten keinen Ärger haben. „Sie begegnen sich freundlich, lächeln sich an“, sagt Schmidt. Doch das Denken werde davon nicht immer erreicht: Fest gefügte Vorurteile blieben bestehen, aber die eigenen Kollegen als „positive Ausnahme“ ausgeklammert.

Die „pragmatische Kooperation“, so hat der Tübinger Wissenschaftler in seiner Studie erfahren, ende häufig am Werkstor: Viele Beschäftigte der unterschiedlichen Gruppen hätten privat kaum Verbindungspunkte. Eine gelungene Zusammenarbeit im Betrieb allein könne also kaum dazu beitragen, die Gesellschaft nachhaltig zu verändern, hinzutreten müssten Information und Aufklärung. „Trotzdem läuft die Integration im Betrieb wesentlich besser als anderswo“, betont Schmidt. „Ressentiments entstehen dort in der Regel nicht.“

HIERARCHIE DER THEMEN

Besser als in der Gesellschaft läuft in den Betrieben die Integration auch beim Wahlrecht. Laut Betriebsverfassungsgesetz können alle Betriebsangehörigen den Betriebsrat wählen und sich zur Wahl stellen, ob sie nun einen deutschen Pass haben oder nicht. André Guy Baki, der aus dem Kongo stammt und in der Kreditorenbuchhaltung von BASF in Berlin arbeitet, sieht seine Wahl zum Betriebsrat als Ermutigung zur Teilhabe: „Die Kollegen, die wie ich aussehen, haben dadurch keine Furcht, zum Betriebsrat zu gehen, wenn sie Probleme oder Fragen haben. Denn sie wissen, dass der Betriebsrat sich nicht nur für deutsche Kollegen einsetzt“, sagt das IG-BCE-Mitglied.

Und Dušan Vesenjak, ehemaliger Betriebsrat jugoslawischer Herkunft, erzählt: „Das Engagement im Betriebsrat war der einzige Weg, um mich politisch zu engagieren. Im Betriebsrat war ich einmal nicht das Gastarbeiterkind, sondern gleichberechtigt.“ Als Leiter der Migrantenakademie der Qualifizierungsgesellschaft Mypegasus in Reutlingen, die Weiterbildung für an- und ungelernte Arbeiter ausländischer Herkunft anbietet, trifft Vesenjak heute auf viele Betriebsräte. Ihr Tenor sei: Bei uns gibt es kein Problem mit der Integration, alle arbeiten gut zusammen. „Wenn sie tiefer reinschauen, merken sie aber, dass es doch Probleme gibt“, sagt Vesenjak. Es fehle oft an Sensibilität für das Thema, und in der Hierarchie der Ausschüsse und Gremien der Betriebsratsarbeit rangiere es eher im unteren Bereich. „Die Entscheider, Betriebsratsvorsitzende und Stellvertreter, interessieren sich oft eher für die ‚harten‘ Themen wie Tarife oder Arbeitsbedingungen“, beschreibt er. Ein Thema wie „Weiterqualifizierung von ungelernten Zuwanderern zur Gestaltung des Strukturwandels“ bekomme erheblich weniger Aufmerksamkeit. „Oft gibt es zwar Migranten, die gewerkschaftlich etwas tun, aber sie kriegen das Thema im Betriebsrat schwer transportiert.“ Und wenn es ein Betriebsrat mit ausländischer Herkunft mal an die Spitze geschafft habe, rücke der nicht selten von den Integrationsthemen ab, weil er nicht als „Migrant vom Dienst“ wahrgenommen werden wolle. Trotzdem ist Vesenjak optimistisch: „Es bewegt sich viel, Personalentwicklung und Fachkräftesicherung rücken mehr in den Fokus, auch bei Personalern entwickelt sich ein Bewusstsein.“

Das Mantra „Bei uns gibt es kein Problem mit Integration!“ hört auch Petra Wlecklik, beim Vorstand der IG Metall zuständig für das Ressort Migration/Integration, oft. Ihrer Ansicht nach ist strukturelle Diskriminierung aber deutlich sichtbar: „Die Einstellungsquote klafft total auseinander“, nennt sie ein Beispiel. Laut aktuellem Bundesbildungsbericht hätten Migranten es bei gleicher Leistung viel schwerer, einen Job zu finden, als Deutsche, Jugendlichen mit Migrationshintergrund bliebe die duale Ausbildung oft verschlossen. Auch bei der Aufstiegsqualifizierung hätten Migranten schlechtere Chancen. „Wir haben insgesamt eine schwache Weiterbildungsquote – bei Menschen mit Migrationshintergrund geht diese noch mal um fast 60 Prozent nach unten“, so Wlecklik. Bei der Wertigkeit der Integrationsarbeit in den Betriebsräten gebe es „absolut viel Luft nach oben“, etwas Bewegung komme in das Thema aber durch die Diskussion um Fachkräftesicherung und den demografischen Wandel. „Viele Betriebsräte sind überzeugt, dass sie eine solidarische Gleichstellungspolitik machen“, erklärt die Gewerkschafterin. Um die dafür zu sensibilisieren, wie sie Integrationsthemen und strukturelle Diskriminierung stärker aufgreifen könnten, bietet die IG Metall Schulungen und Konferenzen an. Betriebsräte sollen das „Vertrauen finden, dass es nicht um Fragen von Schuld geht, sondern um Fragen von Verantwortung“, so Wlecklik.

RESPEKT UND TOLERANZ

Spätestens seit das Allgemeine Gleichstellungsgesetz (AGG) 2006 in Kraft trat und seitdem das betriebswirtschaftliche Konzept des „Diversity Management“ von sich reden macht, hat sich die Diskussion um Gleichstellung in Betrieben auf andere Gruppen erweitert. „Speziell zur Förderung und Integration von Menschen mit Migrationshintergrund sind mir in den vergangenen Jahren keine Betriebs- und Dienstvereinbarungen mehr auf den Tisch gekommen“, berichtet Manuela Maschke, die in der Hans-Böckler-Stiftung das Archiv „Betriebliche Vereinbarungen“ leitet. Nach den fremdenfeindlichen Übergriffen in den 90er Jahren habe es einen Boom solcher Vereinbarungen für Respekt und Toleranz gegeben. „Da wollte man nach innen und außen ein Zeichen gegen Rechtsradikalismus setzen“, sagt Maschke. „Heute fokussiert man nicht mehr so sehr auf eine Gruppe in der Belegschaft. Man weitet eher den Blick darauf, wie man insgesamt partnerschaftlich miteinander umgeht und frühzeitig Konflikte entschärfen kann.“

Kann ein Betriebsrat Motor dafür sein? Mirze Edis von den HKM muss nicht lange überlegen. „Definitiv!“, sagt er. „Wir können mit den Instrumenten, die wir durch den Gesetzgeber haben, hier einiges durchführen, um Ungleichbehandlung und Diskriminierung zu verhindern. Wenn sich ein Betriebsrat das auf die Fahne schreibt, sind die Möglichkeiten da.“

Mehr Informationen

Werner Schmidt: KOLLEGIALITÄT TROTZ DIFFERENZ. Betriebliche Arbeits- und Sozialbeziehungen bei Beschäftigten deutscher und ausländischer Herkunft. Berlin, edition sigma 2006

Detlef Ullenboom: TOLERANZ, RESPEKT UND KOLLEGIALITÄT. Betriebs- und Dienstvereinbarungen. Analyse und Handlungsempfehlungen. Frankfurt/Main, Bund-Verlag 2012

Michaela Dälken: MANAGING DIVERSITY. Betriebs- und Dienstvereinbarungen. Analyse und Handlungsempfehlungen. Frankfurt/Main, Bund-Verlag 2012

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