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Magazin Mitbestimmung

Ressourceneffizienz: Smartes Wachstum

Ausgabe 03/2013

Mit weniger Rohstoffeinsatz produktiver sein. Bio- statt Erdölkunststoffe einsetzen. Gar keine Abfälle mehr produzieren. Dinge nicht verbrauchen, sondern gebrauchen. Im Recycling-Markt boomen Ideen und Investitionen. Von Carmen Molitor

Visionäre leisten sich klare Ansagen. So Michael Braungart, Erfinder des Prinzips „Cradle to Cradle“, deutsch: von der Wiege zur Wiege. Damit umschreibt der Ex- Greenpeace-Mitarbeiter seine Vision, jedes Produkt so herzustellen, dass aus allen Bestandteilen nach dem Gebrauch wieder etwas anderes Nützliches entstehen kann. Die Wirtschaft sollte Rohstoffe und Energie noch viel effektiver nutzen, lautet sein Plädoyer. Und: Um sich als Unternehmer dafür einzusetzen, müsse man nicht den Planeten retten wollen, sagte er zu den Besuchern der Utopia-Konferenz in Berlin 2011. „Es reicht völlig aus, nicht blöd sein zu wollen.“

Wer sich nicht um eine effiziente und umweltfreundliche Art der Produktion und das Recycling seiner Güter kümmert, verschwendet Geld und missachtet Wettbewerbschancen. Das ist inzwischen vielen Unternehmen in Deutschland aufgegangen. Dass die sprunghaften Rohstoff- und Energiepreise tendenziell drastisch anstiegen, bereitete den Boden dafür, Nachhaltigkeit in der Wirtschaft vom exotischen Nischenthema zum Toptrend zu erheben. Ein Trend, der viele innovative Ideen hervorbringt, die Kassen klingeln lässt und Arbeitsplätze sicherer macht. Die hohen Preise trugen auch dazu bei, dass in der Wirtschaft ein grundsätzliches Umdenken einsetzte, sagt Tomas Nieber, Leiter Wirtschafts- und Industriepolitik beim IG-BCE-Vorstand: „Die Entwicklung von Energie- oder Rohstoffpreisen im globalen Maßstab ist ein erster Indikator, dass die Ressourcen, die wir zur Verfügung haben, nicht unerschöpflich sind“, analysiert der Gewerkschafter. „Deshalb fragen sich immer mehr Menschen, wie wir auf Dauer zu einer wirklich nachhaltigen Wirtschaft kommen, ohne Lebensqualität und Wohlstand aufs Spiel zu setzen.“

Im verarbeitenden Gewerbe sind die Materialkosten mit knapp 43 Prozent der größte Kostenblock, während die Personalkosten nur mit rund 18 Prozent zu Buche schlagen, ermittelte das Statistische Bundesamt. Beim Material liegt damit das weitaus größte Einsparpotenzial der Betriebe, auch wenn viele Unternehmen – oft durch Unternehmensberater nicht optimal beraten – nach wie vor so handeln, als würde ihnen Personalabbau am meisten einbringen. Sich für Ressourceneffizienz einzusetzen hat folglich auch für Gewerkschaften und Arbeitnehmervertretungen einen immer größeren Stellenwert: Denn cleverer Umgang mit Rohstoffen kann Arbeitsplätze erhalten und Standorte zukunftssicher machen. Die vom Bundeswirtschaftsministerium geförderten Materialeffizienzberatungen in kleinen und mittleren Betrieben ergaben im Durchschnitt Einsparmöglichkeiten in Höhe von 220.000 Euro – pro Jahr. „Der billigste Rohstoff ist der, der nicht verbraucht wird“, kommentiert die Deutsche Materialeffizienzagentur (Demea). Obendrein führe die Senkung der Materialkosten fast immer auch zu Kostensenkungen in anderen Firmenbereichen wie Lager, Entsorgung oder Transport. „Wenn Sie mit den Unternehmen darüber reden, wie sie ihre Kosten senken sollen und wie sie ihren Standort und ihre Wettbewerbsfähigkeit sichern, dann ist Ressourcenkompetenz eine Schlüsselkomponente, um das Ziel zu erreichen“, fasste Martin Vogt vom Verein Deutscher Ingenieure während der Fachkonferenz „Mit Green Technology auf der Überholspur“ zusammen.

Bevor allerdings Unternehmen durch Ressourcen- und Umweltschutz im großen Stil sparen können, müssen sie in der Regel erst einmal kräftig investieren. Und das tun sie seit Jahren – zunehmend: 24 Milliarden Euro gaben die Unternehmen des produzierenden Gewerbes – ohne das Baugewerbe – 2010 für den Umweltschutz aus, fast acht Prozent mehr als im Vorjahr, berechnete das Statistische Bundesamt 2012. Davon entfielen sechs Milliarden Euro auf Investitionen für Sachanlagen für den Umweltschutz, die die Unternehmen dafür nutzen, den Ressourcenverbrauch zu reduzieren und schädliche Emissionen zu verringern oder ganz zu vermeiden.

Allein für den Klimaschutz investierten Firmen rund 664 Millionen Euro, um Energie effizienter zu nutzen oder einzusparen. Über 750 Millionen gaben sie dafür aus, erneuerbare Energien zu nutzen. Investitionen in den Umweltschutz ließen sich allein die Chemieunternehmen 274 Millionen kosten, bei der Metallerzeugung und -bearbeitung waren es 205 Millionen, in Kokereien und der Mineralölverarbeitung 167 und bei der Herstellung von Kraftwagen und Kfz-Teilen 132 Millionen. Den Milliarden an Investitionen stehen aber bereits enorme Umsätze gegenüber: Für Waren, Bau- und Dienstleistungen im Umweltschutz setzten die Firmen 2010 über 61 Milliarden Euro um. Sieht man von einem Knick im Krisenjahr 2009 ab, sind die umweltschutzbezogenen Umsätze seit 2006 kontinuierlich gestiegen. Deutschland ist Weltmarktführer beim Handel mit Umweltschutzgütern und bei den Patenten in der Umweltschutztechnik.

MASSSTAB ROHSTOFFPRODUKTIVITÄT

Die Bundesregierung hat sich den sparsamen Umgang mit Rohstoffen deutlich auf die Fahnen geschrieben: Sie will die Rohstoffproduktivität, ausgehend vom Stand 1994, bis 2020 verdoppeln. Die Rohstoffproduktivität drückt aus, wie das Verhältnis zwischen dem in der Wirtschaft verbrauchtem „abiotischen Primärmaterial“ pro Tonne und dem erwirtschafteten Bruttoinlandsprodukt ist. Abiotische Materialien sind laut Nachhaltigkeitsbericht des Statistischen Bundesamtes „die im Inland aus der Natur entnommenen Rohstoffe – ohne land- und forstwirtschaftliche Erzeugnisse – und alle direkten importierten abiotischen Materialien“, darunter Rohstoffe, Halb- und Fertigwaren. Um 47,5 Prozent erhöhte sich die Rohstoffproduktivität in Deutschland zwischen 1994 und 2010 – es wurden also trotz steigendem Bruttoinlandsprodukt immer weniger Rohstoffe in der Wirtschaft eingesetzt. Die Zahl unterschlägt allerdings eine Entwicklung: Die Unternehmen verbrauchen zwar in der Tat hierzulande immer weniger Material, sie führen aber auch immer mehr Produkte ein, für die Rohstoffe bereits im Ausland verbraucht wurden. „Die Rohstoffnutzung ist in den letzten Jahren in Deutschland effizienter geworden“, bringt es Jochen Flasbarth, Präsident des Umweltbundesamtes, auf den Punkt, aber „es nutzt nichts, wenn in Deutschland die Rohstoffproduktivität nur deshalb steigt, weil wir zunehmend rohstoffintensive Vorprodukte importieren.“ Weltweit, so Flasbarth, würden heute 50 Prozent mehr Rohstoffe verbraucht als noch vor 30 Jahren – in Europa seien es 43 Kilogramm pro Kopf und Tag, in den USA 88 Kilo und in Afrika zehn.

Die deutschen Unternehmen haben unterschiedliche Konzepte dafür, Ressourcen und Energie besser zu nutzen. Viele setzen umfassend auf mehr Effizienz. „Es geht ihnen um Einsparungen von Material, Optimierung des Energieverbrauchs und darum, negative Auswirkungen der Produktion, wie einen hohen CO2-Ausstoß, zu verringern“, erläutert Hans-Joachim Weis, Bereichsleiter der IG Metall. Beispiel VW: Mit dem Projekt „Think Blue Factory“ will der Autobauer weltweit in den VW-Werken den Ressourcenverbrauch und die Umweltbelastung pro produziertem Auto um mindestens ein Viertel senken. Dafür wird unter anderem eine sparsamere Lackiertechnik eingeführt, werden Gebäude besser gedämmt und sparsamer beleuchtet und konzernweit auf erneuerbare Energien umgestellt. Manche Unternehmen gehen bei bestimmten Produkten weiter, als Schritt für Schritt besser in der Ressourcen- und Energieverwertung zu werden. Sie tüfteln nicht an Effizienz, sondern an Effektivität. Sie suchen nach neuen Ausgangsmaterialien und innovativen Verfahren, um Rohstoffe von vornherein optimal und umweltschonend zu nutzen. Schon beim Design stellen sie sich die Frage, wie alle Teile des Produktes nach der Nutzung weiterverwertet werden können. Wie beim Cradle-to-Cradle-Prinzip (C2C) von Michael Braungart, nach dem jedes Produkt von vornherein so konzipiert würde, dass es in seine Bestandteile zerlegt werden kann und am Ende selbst wieder Rohstoff wird. Braungart hatte als Gastredner auf der Engineeringkonferenz 2012 von IG Metall und Böckler-Stiftung mit seinen Ideen Vertrauensleute und Betriebsräte begeistert. Jetzt ist er Kooperationspartner der Gewerkschaft bei einer Seminarreihe für Betriebsräte aus dem Ingenieurbereich zu den Themen C2C und „Besser statt billiger-Strategien“, berichtet Hans-Joachim Weis.

Müll fällt in dieser Vision nie an, denn alles ist von Anfang an so geplant, dass es immer nützlich bleibt. „Die Natur kennt nur Nährstoffe“, sagt Michael Braungart, „all das, was verschleißt – Schuhsohlen, Bremsbeläge, Reifenabrieb – wird so gestaltet, dass es biologisch nützlich ist. All das, was nur gebraucht wird, wird so gestaltet, dass es technisch nützlich ist. Es gibt so keinen Abfall, aber auch keine Abfallvermeidung, es gibt nur Nährstoffe.“ Nach dem C2C-Prinzip stellte Nike einen komplett recycelbaren Turnschuh („Considered“) her, und Airbus integrierte in seinen A380 kompostierbare Sitzbezüge, andere folgten.

BIOKUNSTSTOFFE IM TREND

Ein anderer Trend ist die Entwicklung neuartiger Werkstoffe, die knapper werdende Rohstoffe ersetzen sollen. Erdöl ist ja nicht nur ein Treibstoff, sondern auch Rohstoff zur Produktion von Kunststoffen. Vor 20 Jahren bereits sind biobasierte Werkstoffe entwickelt worden, um das Abfallproblem durch erdölbasiertes Plastik zu lösen. Denn im Gegensatz zu diesem können Biokunststoffe kompostierbar sein. Inzwischen ist diese Eigenschaft jedoch zweitrangig. Heute gehe es darum, biobasierte Rohstoffe als alternative Rohstoffressource für Kunststoffe zu nutzen, erläutert Professor Hans-Josef Endres, der an der Hochschule Hannover sehr anwendungsnah in diesem Bereich forscht. Für die Produktion von Biokunststoffen braucht man Stärke, Zucker, Zellulose oder Pflanzenöle, die sich aus Mais, Zuckerrüben, Hölzern oder Soja gewinnen lassen. „Wir haben in Deutschland für die verschiedenen nachwachsenden Rohstoffe teilweise die falschen klimatischen Bedingungen, aber wir sind auch ohne eigene Erdölreserven ein Kunststoffland geworden, und so wird es auch bei Biokunststoffen sein“, ist Endres überzeugt. „Wir werden eine Technologieführerschaft übernehmen.“

Die Produktion von Biokunststoffen wird sich bis 2016 weltweit auf sechs Millionen Tonnen verfünffachen, schätzt der Branchenverband European Bioplastics in Berlin. Konzerne wie Coca-Cola, Volvic oder Heinz (Ketchup) nutzen bereits im großen Stil Flaschen aus biobasiertem PET. Hersteller von Bürozubehör wie edding oder Möbius & Ruppert KG setzen ebenfalls gerne auf Biokunststoff. „Das sind Produkte, die der Kunde in die Hand nimmt, da kann man biobasierte Inhaltsstoffe besonders gut vermarkten“, kommentiert Endres. Für seinen Geschmack wird noch immer viel zu wenig über nachhaltige Verwendung von Werkstoffen nachgedacht. Beispiel Bioethanol: Das einfach nur als Kraftstoff zu verbrennen hält Endres für etwas kurz gesprungen. „Viel geschickter ist es, daraus zunächst einen Kunststoff zu machen, diesen zu recyceln und ihn erst am Ende zu verbrennen.“ Einer solchen planvollen Kaskadennutzung, also der Mehrfachnutzung eines Rohstoffs über mehrere Stufen, gehöre die Zukunft.

BEGEHRTES RECYCLINGMATERIAL

Immer mehr setzt sich die Einsicht durch, dass es neben Glas und Papier auch viele andere Rohstoffe gibt, die im Laufe ihres Produktlebens nicht ver- sondern nur gebraucht werden und weiter nutzbar sind. Besonders das Recycling und die Wiederverwertung von Metallrohstoffen sind ohne große Qualitätsverluste machbar. So stammen in der deutschen Raffinade- und Rohstahlproduktion schon 43 Prozent des Kupfers, 60 Prozent des Aluminiums und 44 Prozent des Rohstahls aus sekundären Rohstoffen. Fast der komplette in Deutschland anfallende Schrott wird recycelt, trotzdem deckt die Menge den Bedarf in der Metall- und Gussteilproduktion nur halb. Längst wird das begehrte Material weltweit genauso lebhaft gehandelt wie Primärrohstoffe; Länder wie China, die Ukraine und Russland erheben Exportzölle darauf. Die Ausfuhr von Elektroschrott aus Deutschland in Länder außerhalb der EU ist verboten, trotzdem gibt es einen schwungvollen illegalen Handel damit, wie Kontrollen im Hamburger Containerhafen immer wieder zeigen.

Die Verwertung von Nichtmetallrohstoffen ist technisch schwieriger, aber auch hier gibt es Trendsetter: Besonders gut läuft die Kreislaufwirtschaft bei Glas mit einer Verwertungsquote von 80 Prozent und bei Bauabfällen wie Beton, Zement, Straßenaufbruch, Fliesen und Keramik, die als Recylingbaustoffe ebenfalls zu 80 Prozent zurück in den Produktkreislauf gelangen. Und nicht selten ist ein Sekundärrohstoff gar nicht die zweite, sondern die erste Wahl: So ist die Konzentration von Gold in einer Tonne hochwertiger Leiterplatten bis zu 60-mal höher als in den Erzen selber. Auch im Energieverbrauch sind die Sekundärrohstoffe oft die bessere Alternative: Wer Aluminium aus Schrotten anstatt aus Erzen produziert, spart über 70 Prozent Energie. Wäre doch blöd, das nicht zu nutzen. 

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