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Magazin Mitbestimmung

Interview: „Kapitalbesitzer tragen zum Gemeinwohl nur wenig bei“

Ausgabe 01+02/2013

DGB-Vorstand Dietmar Hexel über Gemeinwohl als Unternehmensziel, Belegschaftskapital und die hohe Wahrscheinlichkeit weiterer Wirtschaftskrisen. Mit Dietmar Hexel sprachen Guntram Doelfs und Margarete Hasel

Vor drei Jahren besuchte eine DGB-Delegation die baskische Kooperative Mondragon. Was kann man dort lernen im Hinblick auf eine sozial gerechte und nachhaltige Wirtschaftsweise?
Das Unternehmen in Mondragon ist im Besitz der Arbeitnehmer. Mondragon beschäftigt rund 85 000 Menschen und verfolgt eine Unternehmenspolitik, bei der gute Produkte und die Sicherheit der Arbeitsplätze im Mittelpunkt stehen, nicht ein abstraktes Gewinninteresse. Das ist ein Modell, das sich in den nächsten kapitalistischen Krisen durchsetzen könnte. Denn mit den jetzigen Prinzipien des Wirtschaftens sind wir gescheitert. Sie führen nicht zu mehr Wohlstand und Lebensqualität, sondern zu mehr Krisen und zu Reichtum bei wenigen.

Genossenschaften sind nichts Neues, die Debatte um die Sozialverantwortung des Kapitals ist mindestens so alt wie die soziale Marktwirtschaft. Kann ein Rückgriff auf diese Ideen den Kapitalismus zähmen?

Zunächst: Mondragon ist mehr als eine Genossenschaft. Es ist ein Unternehmensmodell, das auf Partizipation und auf gerechte Verteilung der Gewinne abzielt – von der übrigens auch die Region profitiert. Und was die soziale Marktwirtschaft betrifft, verstoßen doch besonders die Kapitalgesellschaften gegen ihre Prinzipien. Sie sind zunehmend dem kurzfristigen Gewinndenken des Shareholder-Value verpflichtet. Deshalb müssen die Rechtsgrundlagen für die Unternehmensführung geändert werden, damit eine soziale Marktwirtschaft wieder Einzug halten kann.

Was ist schlecht daran, Profite erzielen zu wollen?
Ein Unternehmen soll gute Produkte und Dienstleistungen – mit Gewinn – hervorbringen. Profit ist als Unternehmensziel falsch. Ein Unternehmen muss die Auswirkungen seiner Entscheidungen für Kunden, Arbeitnehmer und für das Umfeld, in dem es arbeitet, im Blick haben. Ferner muss es sich fragen, ob die Produkte nachhaltig hergestellt werden – in Bezug auf die Umwelt wie auch auf die sozialen Auswirkungen. Auch das Gemeinwohl muss sich in der unternehmerischen Tätigkeit wiederfinden.

Wer definiert das Gemeinwohl?
In einer Demokratie die parlamentarischen Mehrheiten.

Sie drängen darauf, dass das Unternehmensinteresse im Aktiengesetz konkretisiert wird. Was würde das für die Unternehmenspraxis ändern?
Der Aspekt der sozialen Verantwortung ist im Aktienrecht nicht genügend ausgeprägt. Deshalb fordern wir eine Änderung des §76 Abs.1. Dabei schlage ich vor, die Formulierung aus dem Corporate Governance Kodex zu übernehmen: „Der Vorstand leitet das Unternehmen in eigener Verantwortung im Unternehmensinteresse, also unter Berücksichtigung der Belange der Aktionäre, seiner Arbeitnehmer und der sonstigen dem Unternehmen verbundenen Gruppen (Stakeholder) mit dem Ziel nachhaltiger Wertschöpfung.“ Von stiftungsgeführten Unternehmen wie Bosch oder ZF Friedrichshafen können wir lernen, wie man erfolgreich sein kann, ohne die Unternehmensziele an Quartalszahlen auszurichten. Das ist „geduldiges“ Kapital, das ermöglicht eine langfristige Unternehmenspolitik. Deswegen ist es so wichtig, das Unternehmensinteresse im Aktiengesetz zu konkretisieren, zumal der Kodex keine Gesetzeskraft hat. Manager von Kapitalgesellschaften könnten sich dann auf den Stakeholdergedanken als klare Rechtsnorm berufen.

Die Stakeholder-Orientierung wird in der gewerkschaftlichen Debatte dem auf kurzfristige Anteilsgewinne ausgelegten Shareholder-Value entgegengesetzt. Was meint das?
Ein Unternehmen ist eine soziale Organisation, die nicht nur Kapital und Arbeit umfasst, Umweltgrenzen beachten muss und die eingebettet ist in ein Geflecht aus Akteuren. Neben den Arbeitnehmern gehören dazu Zulieferer, Kunden sowie andere gesellschaftlich Beteiligte – Stakeholder eben, die ein unmittelbares Interesse daran haben, dass es dem Unternehmen gut geht. Diese Interessen muss die Unternehmensführung heute in den Mittelpunkt stellen. Der Shareholder-Value hat die Welt fast an den Abgrund geführt.

Wie soll sich dies institutionell niederschlagen?
Nehmen wir Opel Bochum: Ein Unternehmen sollte nicht gegen den erklärten Willen seiner Beschäftigten und der betroffenen Region machen können, was es will. Sondern verpflichtet sein, mit allen Beteiligten eine Lösung zu erarbeiten. Natürlich sind auch Fälle denkbar, wo es keine eindeutige Lösung gibt. Bei Opel gäbe es sie, man muss sie nur wollen.

Und im Aufsichtsrat? Geht da nicht Einfluss verloren, wenn die Arbeitnehmer nur eine – sicher wichtige – Stakeholder-Gruppe von vielen sind?
Nein. Wir haben mit der Montanmitbestimmung eine gute Blaupause. Dort sitzen Kapitalvertreter und Arbeitnehmer völlig gleichberechtigt am Tisch. Und es gibt einen Neutralen. Außerdem sind die DGB-Gewerkschaften berechtigt, neben Beschäftigten des Unternehmens und Gewerkschaftern weitere Persönlichkeiten aus der Zivilgesellschaft für die Aufsichtsratstätigkeit vorzuschlagen.

Ein ambitioniertes und sicher auch strittiges Projekt. Sehen Sie Umsetzungsschritte?
Natürlich wird das nicht leicht! Wir sollten aber nicht immer nur die Realität referieren, sondern müssen auch tragfähige Zukunftsmodelle überlegen. Unsere Forderung ist konsequent. 1951 bei der Einführung des Montanmitbestimmungsgesetzes waren die Montanbereiche Eisen, Stahl und Bergbau die Schlüsselsektoren der bundesdeutschen Wirtschaft. Heute sind Sektoren wie Automobil, Energie, Chemie, Telekommunikation und Handel prioritär. Insoweit spricht vieles dafür, die bewährte Montanmitbestimmung auf diese Industrien zu übertragen. Dazu braucht man natürlich politische Mehrheiten.

Das ist bereits 1976 nicht gelungen.
Das stimmt. Aber 1976 hat auch niemand die Exzesse der Kurzfristorientierung in der Unternehmenspolitik erahnen können. Die Balance im Machtgleichgewicht zwischen Vorstand, Kapitalseite und Arbeitnehmerseite ist durch die Liberalisierungsmaßnahmen der vergangenen Jahrzehnte deutlich gestört. Wer nur Geld gibt und keine Verantwortung für das Unternehmen trägt oder dort beschäftigt ist, sollte keinen ausschließlichen Einfluss haben, wenn es um das Wohl und Wehe von Arbeitnehmern und ihren Familien, von Kunden und Zulieferern geht. Die Übernahme der Montanmitbestimmung würde hier korrigierend eingreifen. Dieser Gedanke ist auch der Politik zu vermitteln.
 
Die Orientierung des Unternehmensinteresses auf das Gemeinwohl bedeutet auch für Arbeitnehmervertreter in den Aufsichtsräten eine Herausforderung. Müssen sie ihren Interessenbegriff überdenken?
Das ist die falsche Frage. Die richtige Frage lautet: Wie müssen sich die Kapitaleigner verhalten, damit das Gemeinwohl stärker zum Tragen kommt? Die Arbeitnehmervertreter müssen da gar nicht viel machen. Es gibt eine große Schnittmenge zwischen Gemeinwohl und Arbeitnehmerinteressen, etwa hinsichtlich der langfristigen Sicherung von Arbeitsplätzen und einer sozialen und ökologischen Produktion. Zwischen Aktionärsinteresse und Gemeinwohl gibt es deutlich weniger Schnittmengen. Wir müssen daran arbeiten, begreiflich zu machen, dass Kapitalbesitzer zum Gemeinwohl nur sehr wenig beitragen.

Was, wenn Gemeinwohl und Arbeitnehmerinteressen kollidieren?
Grundsätzlich ist die Gemeinwohlorientierung in Unternehmen der Montanmitbestimmung deutlich größer als in den anderen. Da haben wir auch die wenigsten Konflikte. Aber natürlich ist das Arbeitnehmerinteresse nicht völlig identisch mit dem Gemeinwohlinteresse. Dennoch: Arbeitnehmer machen einen gewichtigen Teil der Bevölkerung in Deutschland aus. Von daher können Gewerkschaften legitimerweise ein Mandat beanspruchen, mitzudiskutieren, wenn über das Gemeinwohl diskutiert wird. Daneben gibt es allerdings auch andere Interessen, die derzeit nicht unbedingt deckungsgleich sind mit Arbeitnehmer- und Unternehmensinteressen – beispielsweise im Umweltbereich. Da müssen wir um Kompromisse ringen.

Setzt eine andere Form des Wirtschaftens auch ein anderes Verständnis von Eigentum voraus?
Die Beschränkung des Eigentumsbegriffes auf das private Eigentum ist einer entwickelten Zivilgesellschaft in der Tat nicht angemessen. Nehmen wir Kapitalgesellschaften: Die Aussage, das Unternehmen gehöre den Aktionären, greift viel zu kurz. Ein solches Unternehmen in einer demokratischen Gesellschaft gehört auch der Bürgerschaft. Sie erst schafft die Bedingungen, unter denen ein Unternehmen existieren kann. Erst recht gibt es einen legitimen Anspruch der Arbeitnehmer auf Eigentum an ihrem Unternehmen. Schließlich sind sie vom Betrieb zu 100 Prozent in ihrer Existenz abhängig, und letztlich steigert nur ihr Können und Wissen den Wert. Daher müssen sie auch eigentumsrechtlich an den Unternehmenswerten beteiligt werden.

In welcher Form?
Zum Beispiel durch Fondslösungen für die Ausschüttung eines Großteils des Gewinns an die Arbeitnehmer oder eine indirekte Beteiligung am Unternehmenskapital. Oder eben durch Genossenschaften.

In großen Unternehmen mit starker Mitbestimmung mag das klappen. Wie soll das in kleineren Unternehmen funktionieren?
Es gibt viele erfolgreiche Beispiele. In Kapitalgesellschaften und auch in den Privatgesellschaften kann man so etwas analog dem Genossenschaftsmodell sofort umsetzen – auch in einer Aktiengesellschaft. Dann wird man sich weiter überlegen müssen, was in allen anderen Unternehmen und Betrieben möglich ist.

Ist diese Umverteilung eine Frage der tarifpolitischen Stärke?
Gewinn- und Kapitalbeteiligung kann eine tarifvertragliche Forderung sein. Ich würde das begrüßen. Aber das entscheiden die Gewerkschaften. Auch der Gesetzgeber kann etwas tun. Dazu haben wir das Instrument des „gemeinsamen Belegschaftskapitals“ entwickelt – eine Lösung, die nicht den einzelnen Arbeitnehmer begünstigt, sondern die gesamte Belegschaft eines Betriebes. Insbesondere in Krisenzeiten hilft es, Opfer zu vermeiden und Liquidität und Eigenkapital zu stärken. Allerdings müssen soziale Abgaben in dieser Lösung gestundet werden. Arbeitnehmer haben keine tiefen Taschen.

Gerade in Krisenzeiten ist eine Unternehmensbeteiligung für Arbeitnehmer nicht sonderlich attraktiv, weil mit großen Risiken verbunden.
Wieso? Gerade in Krisen braucht man Polster und Sicherheiten. Jedes Unternehmen kennt Höhen und Tiefen, das ist normal. Die Wertsteigerung eines Unternehmens hängt davon ab, wie gut die Innovationsfähigkeit ist, wie gut das Wissen und die Fertigkeiten der Beschäftigten sind und wie gut die Produkte am Markt positioniert sind. Der Glaube, eine Beteiligung funktioniere nur in guten Zeiten, ist überholt. Natürlich gibt es keine Gewinnverteilung, wenn der Betrieb Verluste schreibt. Dann gibt es eben normale, tarifvertraglich gesicherte Löhne und Gehälter. Wenn es dem Betrieb wieder besser geht, stecken nicht nur die Kapitaleigner die Gewinne ein, sondern auch die Arbeitnehmer. Das scheint mir mehr als gerecht. Besitzen ist besser als opfern.

Die Anreizsysteme, die den Vorstandsgehältern zugrunde liegen, gelten als Treiber der Krise. Das Gesetz zur Angemessenheit der Vorstandsvergütung von 2009 hat die Managergehälter kaum reduziert. Brauchen wir eine Deckelung?
Ja, unbedingt. Eine allgemeine, absolute Begrenzung der Managergehälter halte ich jedoch für problematisch. Richtig ist aber, dass zum Unternehmenserfolg alle beitragen – vom Parkwächter über den Facharbeiter bis hin zum Manager. Wenn das so ist, muss es eine gesunde Relation geben zwischen Arbeitnehmer- und Managereinkommen. Jeder Aufsichtsrat sollte eine feste Relation zwischen dem Gesamteinkommen eines Vorstandsmitglieds und den durchschnittlichen Personalkosten im Unternehmen festlegen. Diese Relation fungiert dann auch als Höchstgrenze für die Vorstandsvergütung.

Welche Spanne ist gerechtfertigt?
Eine Größenordnung zu nennen wäre populistisch. Darüber muss im Unternehmen und im Aufsichtsrat diskutiert werden. Eine öffentliche Selbstbegrenzung der Manager wäre zusätzlich ein deutliches Signal an die Gesellschaft, das ich seit Langem vermisse.

Für wie realistisch halten Sie die Umsetzung Ihrer Forderungen?
Äußerst realistisch ist die Konkretisierung des Unternehmensinteresses im Gesellschaftsrecht in Sachen Nachhaltigkeit und Stakeholder-Orientierung. Auch beim Belegschaftskapital könnte es sehr rasch zu kleineren Änderungen im Steuer- und Abgabenrecht kommen. Ebenso erscheint mir eine Bindung der maximalen Vorstandsvergütung an die Arbeitnehmereinkommen möglich zu sein. Für die Ausweitung des Montanmodells werden wir kämpfen. Nach der Bundestagswahl wissen wir mehr. 

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