zurück
HBS Böckler Impuls

Betreuungsgeld: Probleme mit dem Grundgesetz

Ausgabe 17/2012

Der Gesetzentwurf der Bundesregierung zum Betreuungsgeld ist verfassungswidrig, weil er die Wahlfreiheit der Eltern in Sachen Kinderbetreuung erschwert. Zu diesem Ergebnis kommen namhafte Staatsrechtler in aktuellen Gutachten.

Nach den Plänen des Bundesfamilienministeriums sollen künftig alle Eltern eine Geldleistung erhalten, die ihre Kinder bis zum Alter von drei Jahren nicht in einer öffentlich geförderten Einrichtung betreuen lassen. Dabei spielt es keine Rolle, ob beide Eltern voll erwerbstätig sind. Die Kleinen dürften also durchaus anderweitig betreut werden, zum Beispiel von einem Au-pair oder den Großeltern. Wird der Gesetzgeber damit seinem Verfassungsauftrag gerecht, Familien ihre Betreuungsarrangements frei wählen zu lassen? Um diese Frage ging es bei der Anhörung zum Gesetzentwurf im für Familienfragen zuständigen Bundestagsausschuss.

Die Jura-Professoren Ute Sacksofsky von der Goethe-Universität in Frankfurt am Main und Joachim Wieland von der Deutschen Universität für Verwaltungswissenschaften in Speyer senkten beide den Daumen: „Die geplante Einführung eines Betreuungsgeldes verstößt sowohl gegen den Schutz der Familie (…) als auch gegen den Verfassungsauftrag zur Förderung der tatsächlichen Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern“, fasste Sacksofsky ihre Prüfung des Gesetzentwurfs zusammen.

Artikel 6 Absatz 1 des Grundgesetzes verlange, dass der Staat die Ausgestaltung der Kinderbetreuung der freien Entscheidung der Eltern überlässt. Jedoch: „Statt Wahlfreiheit zu gewährleisten, setzt das Betreuungsgeld einen Anreiz für ein bestimmtes Verhalten“, kritisiert die Staatsrechtlerin. Offensichtlich wolle der Staat mit einer direkten Geldzahlung für ein bestimmtes Verhalten genau dieses fördern – eine unzulässige Ungleichbehandlung.

Das Betreuungsgeld lasse sich nicht als „Anerkennung“ der Erziehungsleistung von Eltern rechtfertigen. „Man kann ja nicht behaupten, dass nur Eltern, die jede Sekunde mit ihrem Kind verbringen, das Kind erziehen würden“, führte Sacksofsky während der Anhörung aus. „Und wer einmal die Stunden durchrechnet, weiß, dass der weit überwiegende Teil der Stunden, die ein Kind selbst bei ganztägiger Fremdbetreuung mit seinen Eltern verbringt, größer ist als der Anteil, den es nicht mit ihnen verbringt.“

Auch einen weiteren Rechtfertigungsversuch lässt die Juraprofessorin nicht gelten: Das Betreuungsgeld könne nicht den Einsatz finanzieller Mittel für den Ausbau öffentlicher Kinderbetreuung ausgleichen, an dem zu Hause Erziehende nicht partizipieren. Mit diesem Ausbau erfülle der Staat eine ihm obliegende Aufgabe: „Diejenigen, die keine Bücher aus öffentlichen Bibliotheken ausleihen, nicht schwimmen gehen oder keine Opern- oder Theateraufführungen besuchen“, könnten ebenfalls nicht für diese Nicht-Inanspruchnahme „entschädigt“ werden, verdeutlicht Sacksofsky.

Wer das Angebot einer aus öffentlichen Mitteln geförderten Kinderbetreuung annehme, habe seinen finanziellen Beitrag bereits geleistet – über das Zahlen von Steuern. „Er erlangt keinen Sondervorteil, der ausgeglichen werden könnte oder dürfte“, ergänzt Verfassungsrechtler Wieland. Hinzu kommt: Das Betreuungsgeld soll auch an Eltern gezahlt werden, die in vollem Umfang berufstätig sind. Daher müsse auch „der Versuch scheitern, die Geldzahlungen mit der Absicht der Kompensation für den Verzicht auf Erwerbschancen zu rechtfertigen“.

Der Verfassungsauftrag in Artikel 3 Absatz 2 des Grundgesetzes verbiete dem Staat, die überkommene Rollenverteilung zwischen Männern und Frauen zu verfestigen, sagt Wielands Kollegin Sacksofsky. Zwar könne das Betreuungsgeld grundsätzlich sowohl von Müttern als auch von Vätern beansprucht werden. „Doch in der gesellschaftlichen Wirklichkeit übernehmen die Betreuung von Kleinkindern auch heute noch ganz überwiegend die Mütter.“ Damit verstoße das Betreuungsgeld gegen den Verfassungsauftrag.

Denn: „Für Frauen ist der Wiedereinstieg in den Beruf nach der Zeit der Kinderbetreuung schwierig“, erläutert Wieland. Typischerweise verringerten sich nach einer Unterbrechung sowohl die Höhe des Gehalts als auch die Aufstiegschancen. Das Betreuungsgeld stehe zudem im Widerspruch zu den vor einigen Jahren beschlossenen Änderungen im Unterhaltsrecht: „Dass es nämlich nach der Scheidung einer Ehe praktisch kaum noch Leistungen für Frauen gibt, sondern dass man von Frauen erwartet, dass sie nach der Scheidung sehr schnell wieder ihr Geld selbst verdienen.“ Mit dem Gesetzentwurf würden Frauen aber dazu verleitet, ihren Lebensweg so zu gestalten, dass sich ihr Armutsrisiko deutlich erhöht.

  • Im Vergleich von Männern und Frauen mit und ohne Kinder fällt die Erwerbsbeteiligung von Müttern am niedrigsten aus. Väter sind die Personengruppe mit der höchsten Beteiligung. Zur Grafik

Betreuungsgeld bleibt auch unter Experten umstritten: Das von der Regierungskoalition geplante Betreuungsgeld stößt bei Experten mehrheitlich auf Ablehnung. (Web- und Textarchiv des Bundestages: Familienausschuss befragt am 14. September 2012 Experten zum Betreuungsgeld)

Ute Sacksofsky, Joachim Wieland: Stellungnahmen zur Anhörung des Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend des Deutschen Bundestages zum Thema „Einführung eines Betreuungsgeldes“ am 14. September 2012 (pdf / nicht mehr online)

Impuls-Beitrag als PDF

Zugehörige Themen

Der Beitrag wurde zu Ihrerm Merkzettel hinzugefügt.

Merkzettel öffnen