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Magazin Mitbestimmung

Unternehmensmitbestimmung: Mitbestimmungspraxis schafft Akzeptanz

Ausgabe 07+08/2012

Vorstände großer Konzerne äußern sich anerkennend über die Mitbestimmung. Ist das Opportunismus? Wo doch die Arbeitgeberverbände bei ihrer Fundamentalkritik von einst geblieben sind. Zwei Wissenschaftler vom MPI sind diesem Widerspruch nachgegangen. Von Joachim F. Tornau

In den 1970er Jahren herrschte bei Unternehmensvorständen und Industrieverbänden weithin Einigkeit: Mit scharfer Rhetorik machten sie im Vorfeld des Mitbestimmungsgesetzes mobil gegen paritätisch mit Arbeitnehmer- und Arbeitgebervertretern besetzte Aufsichtsräte, wie sie für Kapitalgesellschaften mit mehr als 2000 Beschäftigten dann schließlich 1976 gesetzlich vorgeschrieben werden sollten. Horst Witzel, Vorstandsmitglied des Pharmakonzerns Schering, sprach von „Knüppel und Daumenschraube“. Bayer-Chef Kurt Hansen sah in der Ausweitung der Mitbestimmung eine „Zwischenstation auf dem Weg zur sozialistischen Staatswirtschaft“ – und stieß damit in das gleiche Horn wie Arbeitgeberpräsident Hanns Martin Schleyer. Gemeinsam zogen Unternehmen und Verbände vor das Bundesverfassungsgericht, um das Mitbestimmungsgesetz wieder zu Fall zu bringen – vergeblich.

Heute klingt es ziemlich anders, wenn sich Vorstände von Großunternehmen über die paritätische Mitbestimmung im Aufsichtsrat äußern. „Für mich“, sagte Siemens-Vorstandsvorsitzender Peter Löscher vor einigen Jahren, „ist die Mitbestimmung ein Standortvorteil Deutschlands.“ Und Klaus Rauscher, damals Chef des Energiekonzerns Vattenfall, erklärte: „Ohne die Mitbestimmung wären wir heute nicht die Nummer drei am deutschen Strommarkt. Wir haben oft unterschiedliche Standpunkte, aber uns eint das gemeinsame Interesse am Wohl unseres Unternehmens.“

Dagegen sind die Arbeitgeberverbände BDA und BDI ihrer einstigen Oppositionshaltung treu geblieben. Nach der Jahrtausendwende traten sie eine heftige Anti-Mitbestimmungsdebatte los – unter den Vorzeichen von guter Unternehmensführung und internationaler Wettbewerbsfähigkeit – und legten ein eigenes „Reformmodell“ vor, das auf eine Rückführung der Unternehmensmitbestimmung hin zur Drittelbeteiligung zielte. Nach zwei Jahren heftiger medialer Angriffe gaben BDA und BDI auf: Den vorläufigen Schlusspunkt setzte 2006 die von der rot-grünen Bundesregierung eingesetzte „Kommission zur Modernisierung der deutschen Unternehmensmitbestimmung“ unter Kurt Biedenkopf, die grundsätzliche Änderungen der Gesetzeslage nicht für erforderlich hielt.

RÄTSELHAFTER DISSENS

Gleichzeitig offenbarte sich in der Debatte ein Dissens zwischen BDA und BDI einerseits und den Managern der Großindustrie, die Beobachter vor ein Rätsel stellt. Diesem sind nun Martin Höpner und Maximilian Waclawczyk vom Max-Planck-Institut für Gesellschaftsforschung (MPIfG) in Köln nachgegangen. In einem Beitrag unter dem Titel „Opportunismus oder Ungewissheit?“ präsentieren die beiden Politikwissenschaftler nun eine Auflösung. Sie nehmen dabei die Äußerungen der Wirtschaftsbosse ernst – und deuten sie nicht, wie das oft geschieht, als bloße Lippenbekenntnisse.

Sie widersprechen damit jener Interpretation, die die zustimmenden Aussagen der Vorstandsvorsitzenden zur Arbeitnehmerbeteiligung als überwiegend strategisch motiviert einstuft und die argumentiert, dass die Führungskräfte auf die Kooperation der Arbeitnehmerbank im Aufsichtsrat angewiesen seien, sodass sie sich mit Kritik am Mitbestimmungssystem zurückhalten müssten, auch wenn sie die negative Haltung der Verbände in Wirklichkeit teilen würden.

Auf eine so motivierte Ablehnung der Arbeitnehmerbeteiligung durch leitende Manager hatten sich im Schlagabtausch der 2000er Jahre auch Mitbestimmungskritiker berufen. „Die Aussagen aus diesen Ecken dürfen Sie nicht für bare Münze nehmen“, hatte etwa der Frankfurter Wirtschaftsrechtler Theodor Baums verkündet. „Deren Wahl oder Abberufung ist von den Arbeitnehmern im Aufsichtsrat abhängig. Solche Aussagen sind daher politischer Natur.“ Ein billiges Argument, finden Höpner und Waclawczyk. Denn mit dem Opportunismus-Argument werde schlicht behauptet, dass es eine mitbestimmungsfeindliche Mehrheit unter den Managern gebe. Ein empirischer Nachweis erscheint dann nicht mehr nötig. Und wäre auch gar nicht zu führen.

KEINE BELEGE FÜR OPPORTUNISMUSTHESE

Ausführlich schildert das Forscherteam seine Suche nach Belegen, die dafür sprechen könnten, dass sich die Vorstandschefs großer Unternehmen in der Mitbestimmungsfrage allein aus strategischen Gründen gegen ihre Verbände stellten. Doch sie fanden nichts. Selbst bei anonymen Befragungen hatte sich eine Mehrheit der Führungskräfte für den Erhalt der paritätischen Beteiligung ausgesprochen. Und sogar eine Umfragestudie, die das Institut der deutschen Wirtschaft (IW) und das Institute for Law and Finance (ILF) an der Universität Frankfurt im Jahr 2006 durchführte und mit der sich BDA und BDI für die Endphase der Mitbestimmungsdebatte munitionieren wollten, brachte nicht das von den Arbeitgeberverbänden gewünschte Ergebnis.

Gerade einmal acht Prozent der angeschriebenen knapp 2500 Unternehmen antworteten überhaupt, von daher kann unterstellt werden, dass das Interesse der Unternehmen, ihre Verbände gegen die Mitbestimmung in Stellung zu bringen, äußerst gering entwickelt war. Von denen, die die Chance zur Meinungsäußerung ergriffen, positionierten sich wiederum nur rund 38 Prozent der Führungskräfte aus der Wirtschaft gegen mitbestimmte Aufsichtsräte – obwohl dem Fragebogen auch noch ein manipulativ-wertendes Anschreiben beigelegen hatte.

„Die von den Initiatoren der Studie erwartete fundamentale Gegnerschaft zur Unternehmensmitbestimmung“, schreiben Höpner und Waclawczyk, „konnte nicht nachgewiesen werden – weil sie nicht existierte.“ Also: Kein Opportunismus, sondern echte Zustimmung zum mitbestimmten Aufsichtsrat, folgern die beiden Politologen.

ABER IST DAS NICHT ERSTAUNLICH?

Die Antwort von Höpner und Waclawczyk lautet: „Unternehmensleitungen wägen die durch die Mitbestimmung entstehenden Verluste an Verfügungsgewalt gegen die aus Kooperation und Koordination resultierenden Gewinne ab und gelangen zu einer nicht ‚vorgespielten‘, sondern tatsächlich vorhandenen Akzeptanz der institutionalisierten Arbeitnehmerbeteiligung.“ Aber warum hatten sich die Konzernchefs dann in den 70er Jahren noch so weitgehend anders geäußert? Und warum machten die Verbände diesen Meinungsumschwung nicht mit? Die Antwort, die Höpner und Waclawczyk geben, ist so einfach wie bestechend: Es ging – und geht immer noch – um die Vermeidung von Ungewissheit.

Bevor das Mitbestimmungsgesetz von 1976 in Kraft trat, habe niemand sicher wissen können, wie es sich auswirken würde – und ob es von der Arbeitnehmerseite nicht vielleicht auch destruktiv angewendet werden könnte. Heute weiß man, dass sich das neue Instrument sogar als äußerst konstruktiv und produktiv erwiesen hat. Und heute herrscht Ungewissheit darüber, ob das System bei einer Reduzierung etwa auf eine bloße Drittelbeteiligung genauso gut funktionieren würde. „Was wir – vordergründig – als 180-Grad-Wende der Unternehmen erlebten, erscheint aus dieser Perspektive ebenso rational wie frei von Opportunismus“, schreiben die Wissenschaftler.

NEWCOMER ALS MITBESTIMMUNGSFLÜCHTLINGE

Die Lobbyarbeit der Arbeitgeberverbände ziele deshalb weniger auf bereits mitbestimmte Großunternehmen als auf Unternehmen, denen die Einsetzung eines mitbestimmten Aufsichtsrats beziehungsweise der Übergang von der Drittelbeteiligung zur Parität erst noch bevorsteht. „Ähnlich wie die Gewerkschaften haben auch die Arbeitgeberverbände mit Mitgliederverlusten zu kämpfen.“ Ihre aggressive Mitbestimmungsfeindlichkeit sei daher als Versuch zu verstehen, kleine und mittlere Unternehmen an sich zu binden. Denn dort, wo die Arbeitnehmerbeteiligung im Aufsichtsrat noch nicht etabliert ist, sei die Unsicherheit und damit die Skepsis am größten. Was sich auch in der Bereitschaft von Unternehmensgründern niederschlage, die Rechtsform der europäischen Aktiengesellschaft (SE) zur Mitbestimmungsflucht zu nutzen.

Was zu tun wäre, um derlei Fluchten vor dem vermeintlich Ungewissen zu erschweren, erklären die Forscher des Max-Planck-Instituts eher beiläufig in einer Fußnote. Sie unterstreichen darin die gewerkschaftlichen Forderungen, das deutsche Mitbestimmungsrecht auch auf ausländische Rechtsformen zu erstrecken sowie die Schlupflöcher des europäischen Gesellschaftsrechts zu stopfen. Daher brauche es „Neuverhandlungen der Mitbestimmung nach Überschreitung definierter Schwellenwerte“. Bislang wird bei der Europäischen Aktiengesellschaft das Beteiligungsniveau bei einer SE-Gründung ein für alle Mal festgeschrieben, egal wie sich die Beschäftigtenzahl entwickelt. In Deutschland gilt ansonsten: Drittelbeteiligung im Aufsichtsrat bei mindestens 500 Arbeitnehmern, Parität ab 2000 Beschäftigten.

Für Höpner und Waclawczyk sind diese Grenzen freilich nicht ein für alle Mal festgeschrieben. Wer das deutsche Mitbestimmungsmodell erhalten wolle, schreiben sie, müsse auch eine „behutsame Absenkung der Schwellenwerte“ ins Auge fassen. Denn diese hohen Werte würden dafür sorgen, dass es in Deutschland viele „Kandidaten für vorauseilende Mitbestimmungsflucht“ gebe – Unternehmen ohne eigene Erfahrung mit einem mitbestimmten Aufsichtsrat nämlich.

Text: Joachim F. Tornau, Journalist in Kassel / Illustration: Jörg Volz/SIGNUM communication

Mehr Informationen

Martin Höpner/Maximilian Waclawczyk: Opportunismus oder Ungewissheit? Mitbestimmte Unternehmen zwischen Klassenkampf und „Spielarten des Kapitalismus“. Erscheint demnächst in der Zeitschrift „Industrielle Beziehungen“. Die Langfassung ist als Discussion Paper des Max-Planck-Instituts für Gesellschaftsforschung frei verfügbar.

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