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Magazin Mitbestimmung

: Unbeugsam und bescheiden

Ausgabe 06/2011

GESCHICHTE Eine Wanderausstellung bewahrt gewerkschaftliche Widerstandskämpfer gegen den Nationalsozialismus vor dem Vergessen.

Von MARTIN KALUZA, Historiker und Journalist in Berlin/Foto: DGB, Ralf Steinle

Ist es Mut, ist es Verzweiflung? Was treibt die 16-jährige Erika Schmedemann an, im August 1944 einen Brief an den Reichsinnenminister Heinrich Himmler zu schreiben, mit der Bitte, ihren Vater freizulassen? Walter Schmedemann hat schon eine Odyssee von Verhaftungen und KZ-Aufenthalten hinter sich, als er während der Verhaftungswelle nach dem Hitler-Attentat vom 20. Juli erneut festgesetzt wird. Bis 1933 hat er im Hamburger Hospital St. Georg als Krankenpfleger gearbeitet, war Betriebsrat, saß für die SPD in der Hamburger Bürgerschaft. Nach der Machtergreifung organisiert er die illegale Arbeit der Partei, stellt Zeitungen und Flugblätter her, die zum Widerstand gegen das Regime aufrufen. Bereits im ersten Jahr der Diktatur wird er zweimal von der Gestapo in Haft genommen. In einer anonymen Schrift berichtet er anschließend über Haftbedingungen und Folterungen im KZ Fuhlsbüttel, gründet eine Widerstandsgruppe, die Zwangsarbeiter mit Kleidung und Lebensmitteln versorgt. Der Preis: eine ständige Folge von Verhaftungen, Freilassungen, Verschleppungen und Misshandlungen. In den Jahren 1937 bis 1939 ist er zweimal im KZ Sachsenhausen interniert. Der Brief seiner Tochter an Himmler bleibt ohne Erfolg. Doch er überlebt. Es grenzt an ein Wunder. In die Freiheit kehrt er nicht als gebrochener Mann zurück, sondern er beteiligt sich entschlossen am Wiederaufbau der SPD und der Gewerkschaften in Hamburg. 15 Jahre ist er Gesundheitssenator in der Hansestadt, noch einmal 20 Jahre lang Mitglied der Bürgerschaft.

Schmedemanns Biografie ist in einer aktuellen Ausstellung über Lebensgeschichten von Gewerkschaftern dokumentiert, die zwischen 1933 und 1945 in Konzentrationslagern inhaftiert waren. Noch bis zum 30. Juni ist sie im DGB-Haus in Berlin zu sehen. Eröffnet wurde sie am 2. Mai, dem Jahrestag der Zerschlagung der Gewerkschaften im Jahr 1933. Von einer Rede, die Schmedemann nach dem Krieg gehalten hat, stammt das Motto der Ausstellung: „Seid wachsam, dass über Deutschland nie wieder die Nacht hereinbricht.“ Der im Berliner Metropol Verlag erschienene Begleitband enthält 34 Biografien, darunter vier von Frauen – die Ausstellung dagegen konzentriert sich auf 16 Personen. Große Schautafeln zeigen jeweils ein Porträtbild, das in der Mitte geteilt ist. Auf der linken Seite dokumentieren Fotos, Faksimiles und ein Lebenslauf die familiäre Herkunft und den Werdegang der Porträtierten. Nur bei denen, die die Haft überlebt haben, geht es auf der rechten Seite weiter: mit Daten aus der Phase des Wiederaufbaus. Dazwischen ragt ein schwarzer Keil, auf dem Gründe und Zeit der Inhaftierung beschrieben sind. Neben bekannten Namen wie Wilhelm Leuschner, der als Mitverschwörer Stauffenbergs nach dem 20. Juli 1944 hingerichtet wurde, porträtiert die Ausstellung auch weniger bekannte Lebensläufe. Zu ihnen gehört der aus Wilsnack in Brandenburg stammende Ewald Sülter, der wegen seiner Arbeit als Landkreisvorsitzender des Deutschen Baugewerksbundes und SPD-Kreistagsabgeordneter von Mai 1933 bis März 1934 in den KZs Havelberg und Oranienburg gefangen war und kurz nach Kriegsende vermutlich von sowjetischen Soldaten erschossen wurde.

GEGEN EINE ZEITGEIST-GEDENKKULTUR_ Entstanden ist die Ausstellung mit Mitteln der Hans-Böckler-Stiftung aus einem Projekt am Otto-Suhr-Institut der Freien Universität Berlin. Zwei Semester lang haben hier Studenten unter der Leitung der Politikprofessoren Siegfried Mielke und Günter Morsch, zugleich Leiter der Stiftung Brandenburgische Gedenkstätten, die Biografien zusammengetragen. Die Macher wollen ihr Werk als Gegengewicht zur öffentlichen Wahrnehmung verstanden wissen, die sich immer noch – oder wieder – einseitig um die bürgerlichen und adeligen Widerstandskämpfer drehe. Allen voran geht es dabei um Claus Schenk Graf von Stauffenberg, den Attentäter des 20. Juli. Kommen in seinem Glanz andere zu kurz? „Heute ist es wieder wie in den 50er und 60er Jahren ohne öffentlichen Widerspruch möglich, auf der offiziellen Gedenkveranstaltung der Bundesregierung zum Jahrestag des 20. Juli Ansprachen zu halten, ohne den Widerstand aus der Arbeiterbewegung und den Gewerkschaften auch nur mit einem Wort zu erwähnen“, sagt Günter Morsch verärgert. Er diagnostiziert, dass die Erinnerung an den linken Widerstand im kollektiven Bewusstsein einer Wellenbewegung folgt. So sei der Widerstand unmittelbar nach dem Krieg entweder verleugnet, als Verrat denunziert oder auf das Attentat vom 20. Juli 1944 beschränkt worden. In den 60er bis 80er Jahren sei viel über gewerkschaftlichen Widerstand geschrieben worden, führte er in seiner Rede zur Eröffnung der Ausstellung aus. Mittlerweile jedoch sei dieser „wieder nahezu in Vergessenheit geraten“.

KAUM BEKANNTE KZ-AUFENTHALTE_ Auch wenn das Feld mittlerweile ganz gut erforscht ist, bleibt das Unwissen groß. Als Leiter der Gedenkstätte Sachsenhausen spricht Morsch oft mit Besuchergruppen aus den Gewerkschaften. „Vielen Besuchern ist gar nicht bewusst, dass Funktionäre, die sie selbst noch persönlich gekannt haben, hier in Sachsenhausen inhaftiert waren“, sagt er. Besonders interessant sind deshalb die Biografien von KZ-Gefangenen, die die Haft überlebten. Denn viele von ihnen haben sich am Wiederaufbau der Gewerkschaften beteiligt, im Osten wie im Westen Deutschlands.

Der Schriftsetzer Wilhelm Reibel etwa wurde wegen seiner Arbeit als Gewerkschaftsfunktionär 1933 im KZ Heuberg gefangen gehalten, nach anderthalb Monaten freigelassen und 1944 erneut von der Gestapo verhaftet. 1947 wurde er zum Vorsitzenden des Badischen Gewerkschaftsbundes gewählt, ab 1951 war er in Baden-Württemberg erst stellvertetender, dann erster Vorsitzender des DGB. Der unterfränkische Schuhmacher Josef Simon überlebte zwei Gefangenschaften im KZ Dachau. Nach dem Krieg gehörte er zu den Mitbegründern der SPD in den westlichen Besatzungszonen und der Gewerkschaft Leder.

Und die Lehrerin Marie Pleißner, die ein halbes Jahr im KZ Ravensbrück gefangen war, war in der Nachkriegszeit Mitglied des ersten sächsischen Landtags und im Vorstand der LDPD, einer ursprünglich liberalen Partei, die dann zur staatstreuen Blockpartei gemacht wurde. In der DDR war sie als Frauenrechtlerin und Friedensaktivistin aktiv und scheute den Konflikt mit der Obrigkeit nicht. Sie kämpfte mit Erfolg gegen den Versuch, ihr den Status als Verfolgte des Nationalsozialismus abzuerkennen.

Warum die Widerstands- und KZ-Erfahrungen von Gewerkschaftsfunktio¬nären der Nachkriegszeit lange kaum bekannt waren, kann Morsch erklären. Zum einen wollten viele KZ-Überlebende lange nicht über die Lagerzeit sprechen. Zum anderen sei ihnen oft eine große Bescheidenheit zu eigen gewesen. „Sie waren weit davon entfernt, ihren Widerstand herauszustellen und Medaillen einzusammeln“, sagt Morsch. „Sie wussten ja, dass die Gewerkschaften am 1. und 2. Mai 1933 versagt hatten.“ Damit meint Morsch die Versuche von Gewerkschaftsfunktionären, ihre Organisationen durch Anpassung zu retten. Für die sprichwörtliche Bescheidenheit gewerkschaftlicher Widerstandskämpfer ist Walter Schmedemann ein gutes Beispiel. 1946 zog er eine auf den ersten Blick nüchterne Bilanz. Doch er hatte klar im Blick, wie wichtig der Widerstand trotz seines Scheiterns für die Zukunft sein würde: „Oft wurde uns gesagt: ‚Was Sie tun, ist sinnlos.‘ Das wussten wir selbst, dass das nicht zum Zuge kam. Es galt aber, für die kommende Zeit, von der wir wussten, dass sie kam, den Beweis zu erbringen, dass wir nicht niederzuringen waren.“

AUSSTELLUNG UND KATALOG

Die Ausstellung mit dem Untertitel „Deutsche Gewerkschafter im KZ 1933–1945“ ist im DGB-Haus in Berlin noch bis Ende Juni werktags von 10 bis 18 Uhr zu sehen. Finanziert wurde sie mit Unterstützung der Hans-Böckler-Stiftung. Sie kann als Wanderausstellung für andere Standorte angefordert werden. Neben den 16 in Berlin gezeigten Schautafeln stehen weitere sechs bereit. Je nach Region oder Einzelgewerkschaft lässt sich die Ausstellung damit besonders anpassen. Anfragen zur Ausstellung:
info[at]gedenkstaette-sachsenhausen.de

Siegfried Mielke/Günter Morsch (Hrsg.): „SEID WACHSAM, DASS ÜBER DEUTSCHLAND NIE WIEDER DIE NACHT HEREINBRICHT.“ DEUTSCHE GEWERKSCHAFTER IM KZ 1933–1945. Berlin, Metropol Verlag 2011. 19 Euro

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