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Magazin Mitbestimmung

: Besser als Bücherwissen

Ausgabe 12/2005

Der FHW-Studiengang Labour Policies and Globalisation, vor einem Jahr ins Leben gerufen, kann jetzt die ersten Absolventen vorzeigen. Drei von ihnen erzählen, was das Kurzstudium gebracht hat.


Von Renate Hebauf
Die Autorin arbeitet als freie Journalistin in Frankfurt am Main.

Von den Bäumen am Treptower Hafen fallen die Tropfen des letzten Regengusses auf den nassen Asphalt. Die jungen Leute, die hier fröhlich plaudernd an der Schiffsanlegestelle stehen, kommen aus allen Teilen der Welt - sie sind die ersten Absolventen des Studienganges Labour Policies and Globalisation, erst vor ein paar Stunden haben sie an der Berliner Fachhochschule für Wirtschaft (FHW) ihre Master-Urkunde in Empfang genommen.

An diesem kühlen Septemberabend wollen sie zusammen mit den Organisatoren, ihren Professoren und den Studenten des nächsten Kurses bei einer Stadtrundfahrt auf dem Havelkanal ihren Abschluss feiern. Abschluss - das heißt für die meisten auch Abschied, die Rückkehr ins Heimatland. Eine der Absolventinnen, Sung Hee Park heißt sie, wird noch in dieser Nacht in den Zug nach Frankfurt steigen, und dann in den Flieger nach Südkorea.

"Ihr seid zu einer Gruppe zusammengewachsen und habt gelernt, euch in euren unterschiedlichen Voraussetzungen, Ideen, Perspektiven gegenseitig zu tolerieren und für gemeinsame Ziele zusammenzuarbeiten." - So hatte Christoph Scherrer, Professor für das neue Fachgebiet Globalisierung und Politik an der Universität Kassel, den "wichtigsten Lerneffekt" des Studienjahres beschrieben. Scherrer hat die Teilnehmer des Pilotstudiengangs Labour Policies and Globalisation während des ersten Semesters in Kassel begleitet.

Dass man hier aus erster Hand etwas über andere Erdteile erfahren, voneinander und übereinander lernen kann, beschreibt Sophia Lim aus Malaysia mit einer Begeisterung, die ansteckend wirkt: "Mit Leuten aus 18 Ländern zusammen zu sein ist einfach großartig. Was ich hier gelernt habe, hätte ich nie aus Büchern lernen können." Sie sagt, auch sie selbst habe sich dabei verändert: "Ich bin viel erwachsener geworden."

Auch Svetlana Boincean, Master-Absolventin aus Moldawien, schätzt besonders die Möglichkeit des interkulturellen Lernens: "Es ist eben ein Unterschied, ob man nur etwas über Afrika liest oder auch von einem Afrikaner selbst erfährt, wie die Verhältnisse dort sind."

Ein Ziel, aber verschiedene Wege

Nicht alle Studenten haben sich problemlos in Deutschland eingelebt. Viele hatten Heimweh oder erlitten gar einen Kulturschock. "Einigen war anzusehen, wie sehr sie ihre Freunde und Verwandten vermissten", erzählt Harald Kröck, einer der vier deutschen Teilnehmer. Wegen fehlender Deutschkenntnisse waren die Gaststudenten auch bei alltäglichen Besorgungen auf die Hilfe der Universität angewiesen.

"Wir haben die Unsicherheiten und Schwierigkeiten in einer solch internationalen Gruppe unterschätzt", gesteht Frank Hoffer ein, der bei der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) das Studienprogramm betreut und seine Weiterentwicklung in Zusammenarbeit mit den internationalen Gewerkschaften und Universitäten koordiniert. Dafür hat er auch milieutypische Schwierigkeiten ausgemacht: "Gerade unter Gewerkschaftern herrscht oft ein hoher Harmoniedruck", erklärt Frank Hoffer. "Unterschiedliche Meinungen oder Konflikte werden unterdrückt, was den Umgang eher erschwert."

Von solchen Erkenntnissen kann jetzt die zweite Studentengeneration profitieren. Für sie verfassen die Organisatoren nun eine Broschüre mit nützlichen Alltagstipps - auf Englisch. Um in Zukunft die Gruppenbildung zu beschleunigen, hat die Universität für die neuen Studenten eigens ein Haus angemietet - nicht nur, um den Studenten die Wohnungssuche abzunehmen, sondern auch um sie näher zusammenzubringen: "Wenn man zusammen wohnt", meint Harald Kröck, "fördert das auch den interkulturellen Austausch."

Svetlana Boincean ist sich derweil sicher, dass auch die erste Generation der Studierenden zu einem Common Sense gefunden hat: "Aufgrund unserer unterschiedlichen Hintergründe hatten wir in vielen Dingen auch unterschiedliche Meinungen", sagt sie, "aber im Ergebnis stimmen wir doch immer wieder überein. Wir alle wollen die Bedingungen für die Arbeitnehmer in unseren Ländern verbessern. Die Wege dahin sind verschieden."

Viele neue Kontakte und Freundschaften sind entstanden, die die Studenten über E-Mail und Telefon weiterführen wollen. "Dieses Programm ist der Beginn eines Neubeginns", formuliert sie enthusiastisch und beschreibt ihre Vision eines globalen Zusammenhalts: "Wir können zwar nicht mehr an einem Ort zusammen sein, aber wir können uns treffen, indem wir in unseren verschiedenen Projekten zusammenarbeiten und uns beraten, wenn wir in Schwierigkeiten sind."

"Ich möchte etwas für mein Land tun"

Besonders gut gefallen hat vielen Studenten die enge Verbindung von Theorie und Praxis. Sechs Wochen lang müssen die Studenten ein Praktikum bei einer deutschen oder ausländischen Gewerkschaftsorganisation oder der ILO absolvieren. Harald Kröck nutzte seine Zeit beim DGB und bei der Gewerkschaft ver.di, um seine Master-Abschlussarbeit über die Kooperation zwischen Gewerkschaften und Nichtregierungsorganisationen vorzubereiten. "Man sollte sich möglichst früh für ein Master-Thema entscheiden, um das Praktikum entsprechend auszuwählen", empfiehlt er zukünftigen Studenten.

Sophia Lim konnte in der Genfer ILO-Zentrale die Leitung und das Alltagsgeschäft der Organisationen kennen lernen. "Das Praktikum hat mir geholfen, Theorie und Praxis zueinander in Beziehung zu setzen", sagt sie. Als Berufseinsteigerin muss sie sich erst einmal neu orientieren. "In irgendeiner Form werde ich sicher für die Gewerkschaftsbewegung in meinem Land arbeiten", ist sie überzeugt. Auch Harald Kröck will "auf jeden Fall auf dem Studium aufbauen und die zahlreichen Kontakte nutzen", die er während dieses Jahres knüpfen konnte.

Svetlana Boincean möchte in ihrem Gewerkschaftsdachverband vor allem ihre neuen Kenntnisse und Ideen zu ihrem Master-Thema, der internationalen Arbeitsmigration, einbringen. "Ich möchte etwas für die vielen Leute in unserem Land tun, die ins Ausland gehen, sie besser informieren und gewerkschaftlich organisieren. Vielleicht halten die Funktionäre das aber auch für nicht relevant", meint sie mit skeptischem Blick auf den bevorstehenden Gewerkschaftskongress.




"Wir wollen keine Meinungen produzieren"
Frank Hoffer, Senior Research Officer bei der Internationalen Arbeitsorganisation, über die Schwierigkeiten internationaler Zusammenarbeit und über die Zukunft des neuen Studienganges

Herr Hoffer, die ersten Absolventen des Studienganges Labour Policies and Globalisation sind entlassen. Ist damit der erste Schritt hin zu einer Global Labour University, wie sie die Organisatoren langfristig anstreben, geschafft?
Wir sind vielleicht sogar schon beim zweiten Schritt. Wir haben eine Menge Partner in den verschiedenen Ländern, wir haben die Absolventen und auch die Erfahrung, dass wir einen solchen Kurs - auch in der Kooperation zwischen Gewerkschaften und Universitäten - machen können.

Vereinzelt waren Stimmen zu hören, der Lernstoff sei noch zu eurozentristisch. Was antworten Sie darauf?
Wir haben das Curriculum zusammen mit Gewerkschaften und Universitäten aus Brasilien, Südafrika, Malaysia, Kanada und Großbritannien entwickelt und hatten auch Gastreferenten aus diesen Universitäten im Programm. Es gibt also einen gemeinsamen Diskussionsprozess.

Die Universitäten von Campinas in Brasilien und Witwatersrand in Johannesburg, Südafrika, haben jetzt beschlossen, in 2007 ebenfalls ein LPG-Master-Programm aufzubauen. Dann könnten die Studierenden die Hälfte ihres Programms in Lateinamerika, Südafrika oder in Deutschland machen und die andere Hälfte in einem der anderen Länder. In Deutschland wollen wir neben der Ausbildung auch Forschungsschwerpunkte zu Fragen der Internationalisierung aufbauen.

Welche Hürden müssen auf dem Weg zur Global University noch enommen werden?
Wir müssen unsere Kontakte pflegen und ausbauen, durch Treffen und gemeinsame Absprachen. Da habe ich keine Bedenken. Schwieriger wird es, die Ausbildung in den Universitäten über die Administration strukturell so zu verankern, dass die Master-Abschlüsse eines Landes auch überall anerkannt werden. Und noch etwas: Unsere Zielgruppe sind Gewerkschafter aus Entwicklungs- und Transformationsländern. Wir brauchen also auch eine Finanzierung für Stipendien sowie für Forschungs- und Studienmittel.

Wie stehen Sie zu der Forderung einiger ausländischer Gewerkschaften und Studenten, das Studium müsse klarer auf die Umsetzung in gewerkschaftliches Handeln ausgerichtet werden?
Es kann eine klare Werteentscheidung sein, mit welcher Fragestellung man sich beschäftigt. Aber in der Behandlung der Fragestellung muss es um analytische Klarheit gehen - nicht darum, Meinungen zu produzieren oder Wahrheiten zu verkünden. Dazu sind die Teilnehmer auch viel zu unterschiedlich.

Die einen kommen aus Ländern mit einer sozialpartnerschaftlichen Tradition, die anderen aus Ländern mit traditionell radikalen Gewerkschaften. Wir wollen die Fähigkeit stärken, Problemlagen zu analysieren und selbst Lösungsansätze zu entwickeln. Das steht immer in dem nationalen Kontext, in dem man tätig ist.

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