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HBS Böckler Impuls

Löhne: Europa kommt nicht in Fahrt

Ausgabe 19/2016

Das Lohnwachstum in der EU bleibt schwach. Dass Beschäftigte trotzdem mehr Geld in der Tasche haben, liegt an der niedrigen Inflation.

 

In den meisten EU-Ländern steigen die Löhne stärker als die Preise: Die realen Effektivlöhne haben 2015 im EU-Durchschnitt um 1,4 Prozent zugelegt, im nächsten Jahr dürfte das Plus 1,7 Prozent betragen. Die Zuwächse sind allerdings nicht der Lohn­entwicklung, sondern vor allem der extrem niedrigen Inflation zu verdanken. Zu diesem Ergebnis kommt der Europäische Tarifbericht des WSI.

Um die Binnennachfrage und das Wachstum in Europa zu beleben, wären kräftigere Lohnerhöhungen nötig, schreibt WSI-Tarifexperte Thorsten Schulten. Lösen lasse sich das Problem nur durch einen tiefgreifenden Politikwechsel. Dazu müssten „in vielen Ländern auch die institutionellen Voraussetzungen, wie angemessene Mindestlöhne und umfassende Tarifvertragssysteme, wiederhergestellt werden“. Dies gelte insbesondere für Südeuropa, wo Tarifvertragsstrukturen während der Eurokrise unter dem Druck der europäischen Institutionen zerschlagen wurden.

Europas Arbeitnehmer haben eine lange Durststrecke hinter sich: Zwischen 2010 und 2016 sind die preisbereinigten Löhne in elf EU-Staaten gesunken. In neun weiteren lagen die durchschnittlichen Zuwachsraten laut WSI bei unter einem Prozent pro Jahr. Deutschland rangiert mit einer kumulierten Reallohnsteigerung von 9,6 Prozent für diesen Zeitraum im Mittelfeld der Länder mit Zuwächsen. Im vergangenen Jahr lag Deutschland mit einem realen Lohnwachstum von 2,6 Prozent hinter acht osteuropäischen EU-Ländern und Schweden auf Rang zehn. Die Bundesrepublik war in der Dekade zuvor das einzige europäische Land, in dem die Reallöhne zurückgegangen waren: um 5,7 Prozent von 2001 bis 2009.

Die ökonomischen Schattenseiten der schwachen Lohnentwicklung „treten heute immer offener zutage“, schreibt Schulten. „Dadurch wird die Entwicklung der gesamtwirtschaftlichen Nachfrage systematisch beschränkt.“ Ohne höhere Löhne blieben Impulse für die Binnennachfrage aus, die Preissteigerung schwach und die Arbeitslosigkeit hoch.

  • In den meisten EU-Ländern steigen die Reallöhne geringfügig an. Die realen Zuwächse sind allerdings vor allem der niedrigen Inflation zu verdanken. Zur Grafik

Thorsten Schulten: Europäischer Tarifbericht des WSI – 2015/2016, WSI-Mitteilungen 8/2016 

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