zurück
HBS Böckler Impuls

Griechenland: Ideen für den Neustart

Ausgabe 19/2016

Eine internationale Expertengruppe hat einen Plan zur Reform des griechischen Arbeitsmarkts vorgelegt. Nach dem Kahlschlag könnte damit ein sozialer Wiederaufbau beginnen.

Eine internationale Expertengruppe hat einen Plan zur Reform des griechischen Arbeitsmarkts vorgelegt. Nach dem Kahlschlag könnte damit ein sozialer Wiederaufbau beginnen.

Die Geldgeber haben erreicht, was sie wollten: Die griechischen Löhne liegen im Schnitt nur noch bei drei Viertel des Niveaus von Anfang 2010. Allerdings ist Griechenland dadurch keineswegs ein wirtschaftlich gesundes, international wettbewerbsfähiges Land geworden. Infolge der Deregulierung sind vor allem Armut und Arbeitslosigkeit explodiert. Ein Viertel der Erwerbspersonen ist ohne Job, bei den 15- bis 25-Jährigen fast die Hälfte.

Aber es gibt auch konstruktive Ansätze zur Lösung der Krise: Im vergangenen Sommer vereinbarten griechische Regierung und EU-Kommission die Einsetzung einer Expertengruppe, die Vorschläge für eine Reorganisation des Arbeitsmarktes entwickeln sollte. Das achtköpfige Gremium aus Ökonomen und Arbeitsrechtlern, in dem unter anderen Gerhard Bosch von der Universität Duisburg-Essen und Wolfgang Däubler von der Universität Bremen vertreten sind, hat nun seine Empfehlungen vorgelegt. Zentral ist die Stärkung der Tarifautonomie. Die Umsetzungschancen sind Bosch und Däubler zufolge „nicht schlecht“. Denn außer der EU-Kommission scheinen alle Beteiligten mit der vorgeschlagenen Richtung einverstanden zu sein: die griechische Regierung, die Gewerkschaften und sogar die Arbeitgeber.

Wiederherstellung der Tarifautonomie

Die in Griechenland durchgesetzte Deregulierungspolitik hat das Flächentarifsystem durchlöchert: Tarifverträge sind nicht mehr allgemeinverbindlich. Sie gelten nur noch für Firmen, die im Arbeitgeberverband, und Beschäftigte, die Gewerkschaftsmitglied sind. Arbeitgeber können von Flächentarifen jederzeit abweichen, sofern eine Betriebsgewerkschaft zustimmt. Wo keine solche Arbeitnehmervertretung vorhanden ist, können seit einigen Jahren sogenannte Personenvereinigungen im Betrieb gebildet werden. Diese neuen, in der Regel auf Initiative der Geschäftsleitung gegründeten Organe legitimieren heute Tarifabweichungen in weiten Teilen der griechischen Wirtschaft.

Die Experten raten nun dringend zur „Wiederherstellung einer funktionierenden Tarifautonomie“: Tarifverträge sollten wieder für allgemeinverbindlich erklärt werden können, sofern sie die Hälfte der Beschäftigten eines Wirtschaftszweigs erfassen. Angesichts des erodierten Tarifsystems und der kleinteiligen griechischen Wirtschaft dürfte diese Bestimmung aber nicht ausreichen, urteilen die Arbeitsmarktexperten. Deshalb sollte der Weg zur Allgemeinverbindlichkeit immer dann offen stehen, wenn ein „öffentliches Interesse“ besteht, etwa wenn in einer Branche besonders viele Niedriglöhner beschäftigt sind.

Auf Betriebsebene ausgehandelte Unterschreitungen des Flächentarifs sollen nicht mehr zulässig sein, womit die Personenvereinigungen ihre Funktion verlören. Nur für Unternehmen in großen wirtschaftlichen Schwierigkeiten könnten Flächentarifverträge Öffnungsklauseln vorsehen.

Mindestlohn: Sache der Sozialpartner

Seit 2012 verhandeln nicht mehr Gewerkschaften und Arbeitgeber über den Mindestlohn. Stattdessen wird er vom Staat festgesetzt. Er ist für die meisten Beschäftigten um ein gutes Fünftel gesunken, junge Arbeitnehmer mussten einen noch höheren Abschlag hinnehmen. Die Experten votieren dafür, die Entscheidung wieder an die Sozialpartner zurückzugeben und die diskriminierenden, nach den bisherigen Erfahrungen arbeitsmarktpolitisch sinnlosen Sonderkonditionen für alle unter 25-Jährigen abzuschaffen. Allenfalls könne es einen geringfügigen Abzug für Berufsanfänger geben.

Weitere Empfehlungen betreffen die Kündigung und Nachwirkung von Tarifverträgen, das Streikrecht oder den Umgang mit Entlassungen. In diesem Zusammenhang empfehlen die Experten eine Kurzarbeitsregelung nach deutschem Vorbild und Sozialpläne, die Möglichkeiten zur Weiterbildung eröffnen. Sofern die finanziellen Mittel der betroffenen Unternehmen und der griechischen Arbeitsverwaltung nicht ausreichen, solle die EU einspringen, etwa mit dem Europäischen Sozialfonds.

Würden die Ratschläge beherzigt, hätte dies laut Bosch und Däubler nicht nur Folgen für Griechenland. Der Wiederaufbau zerschlagener Strukturen hätte Signalwirkung für andere Länder im Süden Europas, die sich „einen umfassenden Sozialabbau gefallen lassen mussten“. Auch für Deutschland könnte die Botschaft, dass es eine Alternative zur Deregulierung gibt, bedeutsam sein.

  • Eine Folge der Austeritätspolitik: schrumpfende Einkommen. Zur Grafik

Expert Group for the Review of Greek Labour Market Institutions: Recommendations, September 2016
Link
(pdf)

Impuls-Beitrag als PDF

Zugehörige Themen

Der Beitrag wurde zu Ihrerm Merkzettel hinzugefügt.

Merkzettel öffnen